neue regeln für das globale finanzsystem
: Die kommenden Krisen

„Basel III“ soll Stabilität sichern, es klammert aber die Grundprobleme aus

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Ingo Arzt

Jahrgang 1978, ist Redakteur im Ressort Wirtschaft + Umwelt der taz. Er beschäftigt sich regelmäßig mit Fragen des internationalen Finanzsystems.

Vergangene Woche endete ein epochaler politischer Prozesses. Interessiert hat es, außer der Fachpresse, kaum einen. Das Thema ist sperrig, schon der Titel lud zum verlängerten Mittagsschlaf ein: „Finalisierung des Basel-III-Reformenpakets“. Es ging darum, wie sehr sich Banken vor Finanzkrisen absichern müssen. Das Regelwerk „Basel III“ ist die Reaktion der G20-Staaten auf die Finanzkrise von 2008.

Es gibt wohl kaum einen politischen Vorgang von so großer Tragweite, der auf so wenig öffentliches Interesse stößt. Doch ob Basel III funktioniert, ist von fundamentaler Bedeutung für die ökonomische und damit politische Stabilität der Welt. Schon das Lobbying um die jahrelangen Verhandlungen haben gezeigt, dass eine historische Chance nach der Finanzkrise vertan worden ist: Die Macht der Finanzeliten ist ungebrochen. Die Konsequenzen werden sich im 21. Jahrhundert angesichts der globalen Krisen potenzieren.

Denn leider sind wir auf Gedeih und Verderb dem globalen Finanzsystem, den systemrelevanten Megabanken, den Börsen und Wertpapiermärkten ausgeliefert. Die Klima- und Umweltkrise, die Krisen um Hunger, Armut und Ungleichheit lassen sich mangels Alternativen nur mit Hilfe der Märkte lösen, kaum gegen sie.

Die globalen Probleme sind komplex, verstärken sich gegenseitig, die Lösung des einen verschlimmert nicht selten das andere. Das prominenteste Beispiel: Wenn Milliarden Menschen weltweit aus der Armut entkommen wollen und das nach dem Modell der Industrieländer machen, dann verstärkt der schiere Energie- und Rohstoffverbrauch die Umweltprobleme des Planeten so sehr, dass er die Lebensgrundlage aller bedroht.

Aus dieser Falle lässt sich nur entkommen, wenn das Finanzsystem als globaler Verteilungsmechanismus grundlegend anders funktioniert als heute: Wenn es ineffiziente Technologien vom Markt drängt und nur die ökologischsten Player überleben lässt – Finanzdarwinismus im positiven Sinne. Vielleicht. Vielleicht ist Ökokapitalismus auch ein Märchen. Aber wer auf diese Karte setzt, der muss in Basel alles einreißen und neu aufbauen.

Dort sitzen die Institutionen, die in der Lage wären, die neuen globalen Regeln zu schaffen. Sie sind alle unter dem Dach der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vereint. Sie existiert seit 1930 und ist Eigentum von 60 Zentralbanken. Hier werden die Regeln des Kapitalismus koordiniert, um Geld- und Finanzmärkte stabil zu halten. Der Witz ist, dass sich zumindest einige der handelnden Akteure in diesen Institutionen der globalen Probleme bewusst sind.

Nehmen wir den Baseler Ausschuss, der die Regeln zu Basel III jetzt nach sieben Jahren Arbeit finalisiert hat, die übrigens noch in nationale Gesetze umgewandelt werden müssen. Diesen Ausschuss gibt es seit 1974, beteiligt sind ­Finanzmarktaufsichten und Zentralbanken der 26 mächtigsten Staaten, etwa China, USA, Indien, Japan und Russland, sowie die Jurisdiktionen EU und Hongkong. Ähnliche Möglichkeiten zur globalen Koordination haben sonst nur noch der Internationalen Währungsfonds, die Weltbank in Washington und Gott. Alle diese Institutionen reden von der Klimakrise und vom Erreichen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen: Armut und Hunger bis 2030 besiegen, ein neues Lebens- und Konsummodell in allen Ländern der Welt.

Aber was passiert, wenn es praktisch wird? Gehen Sie mal auf die Webseite des Baseler Ausschusses und versuchen Sie, etwas zu verstehen. Das Prinzip ist ähnlich wie bei Freihandelsverträgen. Da verschanzen sich ExpertInnen hinter einer Mauer aus schier unergründlichem Wortbeton und Hinterzimmergremien – der perfekte Nährboden für Lobbyismus. Die Öffentlichkeit hat kaum eine Chance, irgendwas zu raffen. Regierungen und Zentralbanken arbeiteten im Basel-Prozess informell eng zusammen, um vor allem die Interessen ihrer nationalen Privatbanken zu verteidigen. Vernetztes Denken? Globale Probleme? Alles vergessen.

Das Ergebnis ist, dass der Baseler Ausschuss, selbst an seinem eigenen Anspruch gemessen, versagt hat. Der bestand darin, das Finanzsystem nach der Krise ab 2008 sicherer zu machen. Das geschah auf vielen Ebenen – der Ausschuss sollte globale Standards für Banken entwickeln. Die haben jetzt zwar weltweit einheitliche Mindeststandards, etwa für Eigenkapital, denn nur das ist im Krisenfall problemlos zugänglich, um Verluste abzufangen. Aber die Standards sind witzlos niedrig. Vor allem, weil die nächste Krise ungleich heftiger ausfallen wird. Chinesische Unternehmen, US-Haushalte, italienische Banken und diverse EU-Staaten sind hoffnungslos überschuldet. Stagnierende Löhne, die Einkommensungleichheit in Industriestaaten oder die Steuerreform in den USA lassen das nächste, noch stärkere Finanzerdbeben näher rücken. Eigentlich bräuchte die Weltgemeinschaft Ruhe und Zeit, um die wenige Energie, die sie für die internationale Koordination politischer Ziele hat, sinnvoll einzusetzen – und nicht für die nächste Finanzkrise zu verpulvern.

Das Grundprobleme hat der Baseler Prozess von Beginn an ausgeklammert: Das Finanzsystem ist insgesamt viel zu groß, ihre ManagerInnen sind supranationale Machthaber, Politik und Realwirtschaft sind von ihnen erpressbar wie eh und je. Natürlich sind nicht alle Banker Arschlöcher. Viele Akteure haben Verantwortungsbewusstsein. Aber sie brauchen Verbündete, von denen es in ihrem System zu wenige gibt.

Sollte es ein Basel IV geben, dann müssten NGOs, Gewerkschaften, WissenschaftlerInnen, PhilosophInnen, QuerdenkerInnen, Religiöse, gemeine BürgerInnen und warum nicht ein paar Weirdos, KünstlerInnen und Loser mit an den Tisch. Sonst behalten wir ein System, das weiter nutzlos wuchert und schlingt. Eines, in dem eine selbstgerechte, unfassbar einflussreiche Finanz­elite das Sagen hat. Die zwar in Sonntagsreden beteuert, auch irgendwie Armut und Klimakrise doof zu finden, sogar ein wenig an einem grünen Kapitalismus zu werkeln, aber sonst weitermacht, als gebe es kein Morgen. Die nächste Chance auf Amtsenthebung kommt nach der nächsten Krise.