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Zauber des großen Mischmaschs

Der Trend beim Kochen geht zum Experimentieren. Und die Bowl macht weiterhin dem Teller Konkurrenz – wird aber ganz neu gefüllt

Im Anzug mit viel Kurkuma am Herd. Das wird gut Foto: Jörg Brüggemann/Ostkreuz

Von Jörn Kabisch

Muss nicht, wer kochen will, erst schmecken können? Und was passiert eigentlich genau auf der Zunge, im Mund, im Hirn, wenn der Mensch schmeckt? Der Wissenschaftsjournalist Bob Holmes hat sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Und kommt zu dem Schluss: Der Geschmack ist ein vernachlässigter und zum größten Teil noch gar nicht weit genug entschlüsselter Sinn. Zwar nutzen wir ihn täglich, aber viel unbewusster als unsere anderen Sinne.

Holmes Buch „Geschmack“ ist der spannende Bericht einer kleinen Weltreise durch Labors, Seminarräume und Konferenzsäle, an all die Orte, wo Menschen sich eingehend mit der menschlichen Sensorik und Gustatorik beschäftigen – eine in vielen Teilen noch sehr junge Wissenschaft. Er erklärt, warum unser Hirn nur selten mehr Worte als „lecker“ für das findet, was uns gut schmeckt. Warum es in den Genen liegt, dass manche Menschen frischen Koriander nicht ausstehen können und andere Rosenkohl. Dass wir auf der Zunge noch viel mehr schmecken als süß, sauer, bitter, salzig – könnte sein, sogar fettig. Und warum man unter Gourmets nur selten Menschen mit einem ausgeprägten Geschmacksinn findet.

Warum man all das wissen sollte? Weil eine ganze Industrie von den Erkenntnissen zehrt, wie unser Geschmackssensorium funktioniert, um billige Grundstoffe besser schmecken zu lassen und über Minderwertigkeit von Zutaten hinweg zu täuschen. Holmes schildert wie Aromen im Labor verbessert werden und nach neuen Zuckern geforscht wird, die nicht dick machen sollen. Könnte aber nicht auch sein, dass wir kritischer schmecken, wenn wir wissen, wie leicht die Rezeptoren dafür zu täuschen sind? Gerade weil Holmes so sachlich bleibt und genau recherchiert hat, ist „Geschmack“ ein aufklärerisches Buch im besten Sinn.

Daneben ist es auch für alle interessant, die gern am Herd stehen, ohne diszipliniert nach Rezept kochen zu wollen und gerne experimentieren. Holmes schildert wie Aromen und Zutaten nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammenspielen, sich also ergänzen oder Konstraste bilden und führt ins Herz der Philosophie, die Molekularköche wie Ferran Adria oder Heston Blumenthal antreibt. Geschmacksfantasien zu entwerfen wie sie, das lässt sich auch am eigenen Herd.

Bob Holmes: „Geschmack. Gebrauchsanleitung für einen vernachlässigten Sinn“. Riemann Verlag, München 2017, 319 Seiten, 24,99 Euro

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Ebenfalls ums Wissen geht es in „Alles, was schmeckt“, allerdings nicht geschrieben, sondern gezeichnet und skizziert. Schon seit einigen Jahren entdecken Zeichnerinnen und Grafikerinnen die Küche, das gemalte Kochrezept ist zu einem eigenen Genre der kulinarischen Gebrauchsanleitung geworden. Julia Rothman, eine der gefragtesten Illustratorinnen der USA (New York Times, Washington Post), hat sich gemeinsam mit Rachel Wharton in die Küchen rund um den Globus begeben. Sie erklärt die Herstellung von Tofu und Käse, die Unterschiede zwischen europäischen und asiatischen Nudeln, erkundet die Vielfalt belegter Brötchen vom vietnamesischen Banh Mie bis zum italienischen Tramezzino, fährt einmal um die Globus samt all seiner gefüllten Teigtaschen, türkische Manti, russische Pelmeni oder chinesische Gyoza – alles in Zeichnungen. Es ist ein prallvolles Buch mit Infografiken, Rezepten und in Cartoons übersetzte Geschichten. Kein Graphic Novel, sondern eine Graphic Encyclopedia, die auch nicht mit unnützem, aber dafür umso schönerem Wissen geizt. Etwa, dass der Glückskeks nicht aus China stammt und das Croissant nicht aus Frankreich. Außer der der Küche hat sich Rothman in anderen Publikationen auch auf den Bauernhof und in die Natur begeben. Diese Bücher legt der Verlag Antje Kunstmann nun ebenfalls nach und nach auf.

Julia Rothman/Rachel Wharton: „Alles, was schmeckt. Die faszinierende Welt des Essens und Trinkens“. Verlag Antje Kunstmann, München 2017, 224 S., 24 Euro

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Die Schüssel ist das Geschirr der Stunde. Besser: die Bowl. Vor ein paar Jahren packte man noch Ramen oder Pho hinein, die Nudelsuppen japanischen oder thailändischen Ursprungs. Heute ist es ein Bett aus Reis mit allerlei Zutaten darauf. Das ist auch wieder japanisch (und heißt Don), manchmal koreanisch (Bibimbap) oder auch ganz niemandsländisch, weil die so genannte Clean-Eating-Bewegung ebenfalls tiefe Teller favorisiert, um basisch-veganes Superfood mit Detox-Qualität zu servieren. Sie sind dann mit Quinoa, Wildreis oder Buchweizen gefüllt. Hat Geschirr die Form einer Halbkugel, scheint es eine besondere Form von Harmonie zu verbreiten.

Im nächsten Jahr wird die Bowl noch einmal neu gefüllt. Denn aller Erfahrung nach brauchen Food-Trends, die schon in Großbritannien oder den USA boomen, immer gut ein Jahr, bis sie auch Deutschland erreichen. Das war so mit Burgern oder der japanisch-peruanischen Nikkei-Küche. Poke, ausgesprochen „Pokay“, nennt sich das neue Bowl-Gericht und ist der hawaianischen Küche entlehnt. Man könnte es auch einfach dekonstruiertes Sushi nennen, weil Fisch und Reis die wesentlichen Zutaten sind, nicht gerollt oder geformt, sondern einfach aufeinandergetürmt.

Eines der anregendsten Rezeptbücher zum Thema, leider noch auf Englisch, stammt von Celia Farrar und Guy Jackson. Die beiden betreiben in London einen Imbiss und ein Pop-up-Lokal und haben die Gerichte, die sie auf Hawaii und in Los Angeles kennengelernt haben, angenehm europäisiert. Sie arbeiten mit frischen, regionalen Zutaten, für die man meist nicht gleich in den Asia-Laden laufen muss. Farrar und Jackson ersetzen den Fisch durch Rote Bete oder Pilze, haben bestechende Anleitungen für eingelegtes Gemüse und zeigen überhaupt, wie wenig Grenzen es gibt, wenn man Zutaten in einer Schüssel kombinieren will. Absolut etwas für den Heimgebrauch – und übrigens: Ihre Gerichte schmecken auch auf dem Teller.

Celia Farrar/Guy Jackson, Poke: „Hawaiian-Inspired `Sushi‘ Bowls“. Hardie Grant Books, London 2017, 144 Seiten, 13,99 Euro

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Was die Bowl auf dem Tisch ist das Blech im Ofen. Auch hier ist sind großes Mischmasch und Anything-Goes die beherrschenden Prinzipien. Von den vielen Kochbüchern zum Thema, die in diesem Herbst erschienen sind, sticht das Buch eines deutschen Autors hervor: Daniel Schimkowitz, Sternekoch aus dem „L.A. Jordan“ in Deidesheim, einer von vielen neuen Kochtalenten. Für „Ein Blech. Kein Stress. 100 geile Rezepte“ hat er mit seinem Team Rezepte entwickelt, für die man einfach Zutaten vermengt, sie aufs Backblech gibt und dann den Ofen die Arbeit machen lässt. Es geht kaum unkomplizierter, wenn man für die Familie oder Freunde kochen will. Abwasch entsteht auch kaum. Es sind humorvolle und sehr alltagstaugliche Anleitungen entstanden, die die Herkunft aus der Hochküche nicht verbergen. Da dürfen Karamell-Bonbons in ein Rhabarber-Gratin hineinschmelzen, Spargelstangen in Holundersirup ausbacken und Ananas wird mit Chili kombiniert.

Daniel Schimkowitz: „Ein Blech. Kein Stress. 100 geile Rezepte“. Neuer Umschau Buchverlag, Neustadt am der Weinstraße 2017, 208 Seiten, 25 Euro

Süß, sauer, bitter

Bob Holmes: „Geschmack. Gebrauchsanleitung für einen vernachlässigten Sinn“. Riemann, München 2017, 319 S., 24,99 Euro

Muss nicht, wer kochen will, erst schmecken können? Und was passiert eigentlich auf der Zunge, im Mund, im Hirn, wenn der Mensch schmeckt? Der Wissenschaftsjournalist Bob Holmes hat sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Und kommt zu dem Schluss: Der Geschmack ist ein vernachlässigter und noch nicht genug entschlüsselter Sinn. Zwar nutzen wir ihn täglich, aber unbewusster als andere Sinne. Holmes Buch „Geschmack“ ist der spannende Bericht einer kleinen Weltreise durch Labors und Konferenzsäle, an Orte, wo Menschen sich eingehend mit der menschlichen Sensorik und Gustatorik beschäftigen – eine noch sehr junge Wissenschaft. Er erklärt, warum unser Hirn nur selten mehr Worte als „lecker“ für das findet, was uns gut schmeckt. Warum es in den Genen liegt, dass manche frischen Koriander nicht ausstehen können und andere Rosenkohl. Dass wir auf der Zunge noch viel mehr schmecken als süß, sauer, bitter, salzig – könnte sein, sogar fettig. Und warum man unter Gourmets nur selten Menschen mit ausgeprägtem Geschmacksinn findet.

Warum man all das wissen sollte? Weil eine ganze Industrie von den Erkenntnissen über unser Geschmackssensorium zehrt, um billige Grundstoffe besser schmecken zu lassen und über Minderwertigkeit von Zutaten hinwegzutäuschen. Holmes schildert, wie Aromen im Labor verbessert werden und nach neuen nicht dickmachenden Zuckern geforscht wird. Könnte nicht auch sein, dass wir kritischer schmecken, wenn wir wissen, wie leicht die Rezeptoren dafür zu täuschen sind? Gerade weil Holmes so sachlich bleibt und genau recherchiert hat, ist „Geschmack“ ein aufklärerisches Buch im besten Sinn. Daneben ist es auch für alle interessant, die gern experimentieren. ­Holmes schildert, wie Aromen und Zutaten nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammenspielen, und führt ins Herz der Philosophie, die Molekularköche wie Ferran Adria oder Heston Blumenthal antreibt. Geschmacksfantasien zu entwerfen wie sie, das lässt sich auch am eigenen Herd.

Küchen der Welt

Julia Rothman, Rachel Wharton: „Alles, was schmeckt. Die faszinierende Welt des Essens und Trinkens“. Antje Kunstmann, München 2017, 224 S., 24 Euro

Ebenfalls ums Wissen geht es in „Alles, was schmeckt“, allerdings nicht geschrieben, sondern gezeichnet und skizziert. Schon seit einigen Jahren entdecken ZeichnerInnen und GrafikerInnen die Küche, das gemalte Kochrezept ist zu einem eigenen Genre der kulinarischen Gebrauchsanleitung geworden.

Julia Rothman, eine der gefragtesten Illustratorinnen der USA, hat sich gemeinsam mit Rachel Wharton in die Küchen rund um den Globus begeben. Sie erklärt die Herstellung von Tofu und Käse, die Unterschiede zwischen europäischen und asiatischen Nudeln, erkundet die Vielfalt belegter Brötchen vom vietnamesischen Banh Mie bis zum italienischen Tramezzino, fährt einmal um den Globus samt all seiner gefüllten Teigtaschen, türkische Mantı, russische Pelmeni oder chinesische Gyoza – alles in Zeichnungen. Es ist ein prallvolles Buch mit Infografiken, Rezepten und in Cartoons übersetzte Geschichten. Eine Graphic Encyclopedia, die auch nicht mit unnützem, aber dafür umso schönerem Wissen geizt. Etwa, dass der Glückskeks nicht aus China stammt und das Croissant nicht aus Frankreich.

Karamell im Gratin

Daniel Schimkowitsch: „Ein Blech. Kein Stress. 100 geile Rezepte“. Neuer Umschau Verlag, Neustadt a. d. W. 2017, 208 S., 25 Euro

Was die Bowl auf dem Tisch ist das Blech im Ofen. Auch hier sind großes Mischmasch und anything goes die beherrschenden Prinzipien. Von den vielen Kochbüchern zum Thema, die in diesem Herbst erschienen sind, sticht das Buch eines deutschen Autors hervor: Daniel Schimkowitsch, Sternekoch aus dem „L.A. Jordan“ in Deidesheim, eines von vielen neuen Kochtalenten. Für „Ein Blech. Kein Stress. 100 geile Rezepte“ hat er mit seinem Team Rezepte entwickelt, für die man einfach Zutaten vermengt, sie aufs Backblech gibt und dann den Ofen die Arbeit machen lässt. Es geht kaum unkomplizierter, wenn man für die Familie oder Freunde kochen will. Abwasch entsteht auch kaum. Es sind humorvolle und sehr alltagstaugliche Anleitungen entstanden, die die Herkunft aus der Hochküche nicht verbergen. Da dürfen Karamell-Bonbons in ein Rhabarber-Gratin hineinschmelzen, Spargelstangen in Holundersirup ausbacken und Ananas wird mit Chili kombiniert.

Sushi, de-konstruiert

Celia Farra, Guy Jackson: „Poke: Ha­waiian-Ins­pired Sushi Bowls“. Hardie Grant, London 2017, 144 S., 13,99 Euro

Die Schüssel ist das Geschirr der Stunde. Besser: die Bowl. Vor ein paar Jahren packte man noch Ramen oder Pho hinein, heute ist es ein Bett aus Reis mit allerlei Zutaten darauf. Das ist japanisch (und heißt Don), manchmal koreanisch (Bibimbap) oder auch niemandsländisch, weil die sogenannte Clean-Eating-Bewegung ebenfalls tiefe Teller favorisiert, um basisch-veganes Superfood mit Detox-Qualität zu servieren. Sie sind dann mit Quinoa, Wildreis oder Buchweizen gefüllt. Geschirr in Form einer Halbkugel scheint Harmonie zu verbreiten.

Im nächsten Jahr wird die Bowl noch einmal neu gefüllt. Denn aller Erfahrung nach brauchen Food-Trends, die schon in Großbritannien oder den USA boomen, gut ein Jahr, bis sie Deutschland erreichen. Das war so mit Burgern oder der japanisch-peruanischen Nikkei-Küche. Poke, ausgesprochen „Pokay“, nennt sich das neue Bowl-Gericht und ist der hawaianischen Küche entlehnt. Man könnte es auch einfach dekonstruiertes Sushi nennen, weil Fisch und Reis die wesentlichen Zutaten sind – einfach aufeinandergetürmt.

Eines der anregendsten Rezeptbücher zum Thema, leider noch auf Englisch, stammt von Celia Farrar und Guy Jackson. Die beiden betreiben in London einen Imbiss und ein Pop-up-Lokal und haben die Gerichte, die sie auf Hawaii und in L. A. kennengelernt haben, europäisiert. Sie arbeiten mit frischen, regionalen Zutaten, für die man meist nicht gleich in den Asia-Laden laufen muss. Sie ersetzen den Fisch durch Rote Bete oder Pilze, haben bestechende Anleitungen für eingelegtes Gemüse und zeigen, wie wenig Grenzen es gibt, wenn man Zutaten in einer Schüssel kombinieren will. Absolut etwas für den Heimgebrauch – und übrigens: Ihre Gerichte schmecken auch auf dem Teller.