Fausthiebe zur Primetime

Pistolenschüsse, Leichen, blutverspritzte Wände für ein Millionenpublikum. Und das am Sonntagabend im „Tatort“. Muss das sein?

Die Teilnehmer*innen des 23. taz-Panterworkshops am Checkpoint Charlie. Grenzposten einer gewaltsam geteilten Stadt. Foto: Barbara Dietl

Von Salome Berblinger

An einem Fernsehabend, an dem um 20 Uhr in der Tagesschau Panzer im Bild hinter der Moderatorin durchfahren, brauche ich anschließend keine Leiche, die ans Ufer des Rheins gespült wird. Diese Bilder bleiben in meinem Kopf.

Der „Tatort“ kommt ohne die detaillierte Darstellung von Gewalt aus. Wenn offensichtlich Leichen unter dem Tuch liegen, muss man diese nicht vor laufender Kamera entblößen. Situationen können angedeutet und nacherzählt werden. Die Zuschauer*innen können dennoch miträtseln.

Es gibt spannende Geschichten, die rund um einen Kriminalfall erzählt werden können. Drehbuchautor*innen sollten mehr Wert auf die Charaktere und Ermittlungsstrategien legen. Auch Motive von Täter*innen aufzuarbeiten ist anspruchsvoll.

Seit den frühen 2000er Jahren sehen „Tatort“-Zuschauer*innen stattdessen immer mehr Tote und wie Gerichtsmediziner*innen diese untersuchen, sagt Christine Hämmerling, Kulturwissenschaftlerin der Universität Zürich. Laut Hämmerling sei das damals neu für das Publikum gewesen. Heute habe man sich an solche Bilder gewöhnt.

Durch das Internet gibt es ausreichend Möglichkeiten, Leichen außerhalb der Prime-Time des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu sehen. Doch nur, weil wir uns an Brustschüsse und bleiche Gesichter gewöhnt haben, ist die Darstellung nicht weniger gewalttätig. Darüber müssen wir uns wieder bewusst werden.

ja

Von Sina
Aaron Moslehi

Gewaltdarstellungen aus dem „Tatort“ zu verbannen, ist feige und realitätsfern. Auf sie zu verzichten, erzeugt ein falsches Bild von Wirklichkeit. Denn wenn sich am Sonntagabend Fernsehdeutschland vor der Mattscheibe versammelt, geht es nicht nur um Unterhaltung, sondern auch um gesellschaftliche Fragen – etwa dann, wenn sich die Macher*innen vom Fall Oury Jalloh inspirieren lassen.

Man muss Menschen ein unangenehmes Gefühl zumuten dürfen, um ein Bewusstsein für schwierige Themen zu schaffen. Wer Rezipient*innen in einen Friedenskokon einhüllen möchte, wird es schwer haben, Geschichten zu erzählen, die etwas bewegen. Und Zuschauer*innen, die sich das wünschen, möchten ohnehin unbehelligt bleiben von den Problemen, die in unserer Gesellschaft existieren.

Seien es die wiederholten Fausthiebe ins Gesicht oder die Vergewaltigung: Es ist der Kontext der Gewaltdarstellung, der ihr Legitimität verschaffen kann – oder eben nicht. Sie per se zu verteufeln, ist zu einfach. Gewiss sollte man übertriebene explizite Gewaltdarstellungen nicht gutheißen, doch sie können auch Tabus aufweichen.

Ja, sogar Menschen mit Gewalterfahrungen dazu bewegen, sich ihres Schicksals bewusst zu werden und Hilfe zu suchen.

Die Zuschauer*innen können übrigens auch von einem Satz oder einer Wendung stärker angefasst sein als von einer Gewaltdarstellung im engeren Sinne. Denn gewaltfreie Tiefpunkte im Leben sind nahezu keinem Menschen fremd. Niemand würde auf die Idee kommen, sie zu verbieten.

Realitäten kann man nicht völlig ausblenden – sollte man auch nicht.