Ein Demagoge weniger in der AfD-Fraktion

Wieder verlässt ein Abgeordneter die Stuttgarter Fraktion. Heinrich Fiechtners Begründung: Der Antisemit Wolfgang Gedeon soll wieder mitarbeiten dürfen

Für Heinrich Fiechtner ist „die Grenze der Leidensfähigkeit erreicht“

Man kann nicht behaupten, Heinrich Fiechtner hätte sich aus Versehen in die AfD verirrt. Das langjährige CDU-Mitglied ist, so hat er selbst formuliert, 2015 wegen der „ungesteuerten Zuwanderung aus fremden Kulturen“ der Alternative für Deutschland beigetreten.

Selbst innerhalb der an Polemikern weiß Gott nicht armen Partei galt Heinrich Fiechtner als begabter Demagoge. In seiner Zeit als Stuttgarter Stadtrat verglich er den Koran mit Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“. Er nannte den Grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn schon mal einen „miesen, faschistoiden Scharfmacher“. Und im baden-württembergischen Landtag verteidigte er anfangs noch seinen Fraktionskollegen Wolfgang Gedeon gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Sie sollten sich „um ihren eigenen Antisemitismus kümmern“, blaffte Fiechtner den anderen Fraktionen hinterher.

Nun ist es ausgerechnet dieser Wolfgang Gedeon, der für Fiechtner schließlich das Fass zum Überlaufen bringt. Gedeon, AfD-Abgeordneter vom Bodensee, der sich in seinen Schriften wiederholt antisemitisch geäußert hat, ist seit der Landtagswahl im letzten Jahr ein Zankapfel. Im Sommer 2016 spaltete sich seinetwegen die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag. Fiechtner gehörte damals zu jenen Abgeordneten, die zusammen mit Fraktionschef Jörg Meuthen den Ausschluss von Gedeon aus der Fraktion gefordert hatten. Dieser verließ nach Intervention der damaligen Parteichefin Frauke Petry dann doch noch freiwillig die Fraktion, und die AfD-Abge­ordneten überwanden nach langen ­Verhandlungen ihre Spaltung.

Doch der Streit um Gedeon ist seither nie ganz zur Ruhe gekommen. Der Mann findet in Teilen der Fraktion weiterhin Unterstützer, die etwa seine Reden im Plenum beklatschen. Letzte Woche hatte die Fraktion deshalb einen Beschluss gefasst, der offenbar die Rückkehr Gedeons in die Reihen der Fraktion vorbereiten soll: Künftig werden zu Arbeitskreissitzungen auch Gäste zugelassen sein, die nicht der Fraktion angehören.

Eine Lex Gedeon, die es ihm ermöglichen soll, wieder zusammen mit seinen Parteifreunden im Landtag Politik zu machen. Und tatsächlich, Wolfgang Gedeon bestätigte bereits am letzten Freitag gegenüber dem Südwestrundfunk, dass er von der AfD-Fraktion zur Mitarbeit in einem Fraktionsarbeitskreis eingeladen worden sei. Für Fiechtner, einen evangelikalen Christen, der sich aber glaubwürdig von antisemitischen Positionen abgrenzt, war das zu viel. Am Freitag erklärte er seinen Austritt aus der Fraktion. Auch aus der AfD will er austreten. „Für mich ist die Grenze der Lei­densfähigkeit erreicht“, hat er erklärt.

Wolfgang Gedeon ist allerdings nicht der einzige Grund für Heinrich Fiechtners Leidenszeit. Sein Rückzug ist der Endpunkt einer langen Entfremdung zwischen ihm und seiner ehemaligen Fraktion. Diese hatte dem Onkologen ein Redeverbot im Landtag erteilt und ihn aus Ausschüssen der Fraktion abgezogen, nachdem er im Landtag entgegen der offiziellen Fraktionslinie eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge befürwortet hatte. Gegen dieses Redeverbot hatte Fiechtner vor dem baden-württembergischen Verfassungsgerichtshof geklagt, und dort vor wenigen Wochen recht bekommen. Trotzdem entsandte ihn die Fraktion daraufhin nicht zurück in die Ausschüsse.

Als Fiechtner sich nun kürzlich um die Nachfolge von Fraktionschef Jörg Meuthen bewarb, der ins Europäische Parlament wechselt, erlitt er bei seinen Leuten eine schwere Niederlage. Meuthens Nachfolger wurde der Pforzheimer AfD-Abgeordnete Bernd Gögel, der nach eigener Aussage Gedeons Schriften nicht gelesen hat, ihn aber in seinem Wahlkreis kürzlich auftreten ließ.

Was sagt es über die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag aus, dass ein durchaus rechtskonservativer Abgeordneter wie Heinrich Fiechtner nun die Fraktion und die Partei verlässt und das ziemlich freudlose Dasein als fraktionsloser Abgeordneter in Kauf nimmt, während zugleich der Antisemit Wolfgang Gedeon wieder mit der Fraktion zusammenarbeiten darf? Fiechtner gibt die Antwort darauf selbst: Der ganze Vorgang sei „ein Ausweis völliger Verwahrlosung der AfD-Fraktion“.

Mit Heinrich Fiechtners Abgang schrumpft die AfD-Fraktion im baden-württem­bergischen Landtag nun auf zwanzig Mitglieder. Beobachter gehen davon aus, dass es noch mehr Wackelkandidaten in den Fraktion­sreihen gibt. Vor Fiechtner hatte bereits die Abgeordnete Claudia Martin wegen ­rechter Tendenzen Partei und Fraktion verlassen; sie ist inzwischen der CDU beigetreten. Sollte es noch weitere Abgänge geben, verlöre die AfD ihre Position als größte ­Oppositionsfraktion. Benno Stieber