„Lasst die Bücher sprechen“

Anderswo liest er bloß vor. Nach Lübeck aber kommt Salman Rushdie wegen seines Freundes Günter Grass

Von Alexander Diehl

Man muss vielleicht dabei gewesen sein: Als „großen Tänzer“ hat Salman Rushdie seinen deutschen Schriftstellerkollegen Günter Grass bezeichnet. 2015 war das, gleich nachdem der Literaturnobelpreisträger verstorben war. In seinem Text – erschienen zuerst im New Yorker, übersetzt dann in der FAZ – erinnerte Rushdie unter anderem an die Feierlichkeiten zu Grass’70 Geburtstag, 1997 im Hamburger Thalia-Theater: Damals war der Brite überraschend zum Mitfeiern erschienen, und konnte aus erster Hand berichten, welch flotte Sohle der Jubilar da aufs sprichwörtliche Parkett legte – „es schien, als stünden die schönsten Mädchen Deutschlands Schlange, um mit ihm zu tanzen“.

Wenn heute in Lübeck Grass’90. Geburtstag gewürdigt wird, ist Rushdies Gastspiel keine Überraschung. Technisch gesehen ist es Promo-Programm zum Roman „Golden House“, mit dem er unlängst auch in Hamburg auftrat; dass dabei Plätze frei blieben – in unserer schönen Elphi! –, nahm die Aufmerksamkeit einiger Rezensenten mehr in Beschlag als die Lesung des seit 1989 mit dem Tode bedrohten Schriftstellers. Gerade im Zusammenhang mit jener „Fatwa“ Ajatollah Khomeinis hatte sich Grass für den Jüngeren engagiert, sorgte unter anderem dafür, dass die Frankfurter Buchmesse iranische Verlage auslud.

Kennen- und schätzen gelernt hatten sich beide aber schon 1982. Im erwähnten New Yorker-Text erzählt Rushdie vom Besuch in Wewelsfleth: Grass holte „eine Flasche Schnaps, und als wir an deren Boden ankamen, waren wir Freunde“.

An Rushdies Respekt für und Freundschaft mit Grass änderte auch im Jahr 2006 dessen späte Enthüllung nichts, als Jugendlicher Teil der Waffen-SS gewesen zu sein – ebenso wenig mochte Rushdie 2012 mitmachen, als Grass Prügel bezog für das Gedicht „Was gesagt werden muss“, in dem er Israel unter anderem als Gefahr für den Weltfrieden bezeichnete. Gegen die Antisemitismusvorwürfe, gerichtet an den Menschen Grass, führte Rushdie immer wieder dessen Werk ins Feld: „Lasst die Bücher für ihn sprechen, die größten antinazistischen Meisterwerke, die je geschrieben wurden.“

Mit auf der Bühne sind heute Abend Eva Menasse, Dagmar Leupold, Benjamin Lebert, Fridolin Schley und Tilman Spengler: Sie alle lesen Grass, Rushdie liest sich selbst, es moderiert die Kritikerin Mara Delius. Schnaps könnte gereicht werden, dass auch getanzt wird, ist aber unwahrscheinlich.

19.30 Uhr, Lübeck, Musik- und Kongresshalle