Trend „Reborn Babys“: Die Wiedergeborenen

Sogenannte Reborn Babys sind lebensecht aussehende Puppen für Erwachsene. Die Szene wächst – auch in Deutschland. Aber wer spielt damit?

Ein Reborn Baby

So echt sieht es aus. Doch es bewegt sich nicht Foto: Thekla Ehling

Der kleine Levi liegt in seinem Babywipper. Die Augen zu, die Unterlippe versteckt, vielleicht nuckelt er an ihr. Erst wenn man genauer hinguckt, erkennt man: Dieses Baby bewegt sich nicht. Levi ist ein Reborn Baby – eine Puppe, die einem echten Baby unheimlich ähnlich sieht.

Nadine M. ist die Rebornmutter von Levi. Seit etwa zehn Jahren sammelt die Rheinländerin Reborn Babys. Meistens hat sie zwei oder drei Puppen gleichzeitig und verkauft immer mal eins im Tausch für ein neues. Levi hat sie erst vor ein paar Wochen bekommen. „Der Bausatz ist gerade bei allen total beliebt“, sagt Nadine M. Sie hat 650 Euro für Levi bezahlt. Sie schämt sich nicht für ihr Hobby, doch viele haben Vorurteile. Deshalb will sie nicht, dass ihr Nachname veröffentlicht wird.

Modelliert wurde Levi von der Australierin Bonnie Brown, eine in der Szene bekannte Größe. Wer ihre Website besucht, stellt fest, dass die meisten Bausätze ausverkauft sind. In deutschen Onlineshops wie oncesoreal.com oder dollsgarden.com kann man den rohen Levi-Bausatz für knapp 110 Euro kaufen. Weiterverarbeitet werden die Bausätze von sogenannten Rebornerinnen oder Rebornkünstlerinnen – ein Handwerk, das fast ausschließlich von Frauen ausgeübt wird. Das Ziel: Eine Puppe schaffen, die man kaum von einem lebendigen Baby unterscheiden kann.

Reborns auf Youtube

Nadine M. kennt den Unterschied zwischen Mensch und Puppe gut: Sie ist Mutter von zwei Teenagern und einem Kind im Kindergartenalter. Wozu braucht man da noch unechte Babys? „Ich sehe die nicht als Babyersatz, die sind ein schönes Sammlerstück für mich. Klar, ich ziehe die mal um. Und wenn ich mit denen spazieren gehe, dann nur für meine Videos“, sagt sie.

Auf ihrem YouTube-Channel „Love­ly Reborns“ lädt sie ungefähr einmal pro Woche ein Video hoch. Mit dabei sind „Box Openings“: Videos, in denen neue Babys genau gezeigt werden, oder „Shopping Hauls“ – Präsentationen von neuem Spielzeug und Klamotten. Spätestens am Fachjargon erkennt man, dass der Reborning-Trend im englischsprachigen Ausland groß ist. Entstanden ist er in den USA in den 1990er Jahren.

Von innen wird das Reborn Baby mit Edelstahlgranulat und Watte so gefüllt, dass es genauso schwer wie ein echtes Baby ist

Mittlerweile hat sich auch in Deutschland eine lebendige Szene entwickelt, die sich hauptsächlich über soziale Netzwerke austauscht. Vor allem auf Facebook gibt es Gruppen, in denen man sich die neuen Babys zeigt, oder Seiten, auf denen Rebornerinnen ihre neuesten Kreationen anbieten. Jährlich trifft man sich im hessischen Eschwege, das für ein Wochenende im November zum Wallfahrtsort für Puppenfans wird. Auf den diesjährigen Puppenfesttagen waren knapp die Hälfte aller Aussteller aus dem Reborn-Bereich.

Und doch sind Reborn Babys bei Außenstehenden weitestgehend unbekannt. Bleiben die Sammlerinnen lieber unter sich, um kritischen Blicken aus dem Weg zu gehen? „Ihr seid doch gestört“, heißt es im Netz immer wieder. Dass viele Menschen skeptisch reagieren, wenn sie zum ersten Mal ein Reborn Baby sehen, kann Nadine M. nachvollziehen. Trotzdem findet sie, dass viele ein falsches Bild haben: „Die gucken ein YouTube-Video und denken, du machst den ganzen Tag nichts anderes, als mit deinen Reborn Babys zu spielen.“

Zwischen Realität und Fiktion

Dass viele die lebensechten Puppen einfach so sammeln, wie andere es mit Porzellanpuppen tun, mag sein. Aber Reborning spielt mit der Grenze zwischen Realität und Fiktion. Was, wenn die Puppe mehr wird, besonders für Frauen, bei denen der Kinderwunsch unerfüllt geblieben ist? Die Gefahr ist da: dass man etwas als echt empfindet, das so echt aussieht.

Auch Sabine K. versteht ihr Hobby als künstlerisches Handwerk. „Wenn zehn Rebornerinnen den gleichen Bausatz nehmen, kommen trotzdem zehn verschiedene Babys heraus – jeder hat seinen eigenen Fingerabdruck“, sagt die gelernte Hebamme und Rehatrainerin. Vor vier Jahren hat sie sich an ihr erstes Baby gewagt, zunächst aus ganz pragmatischen Gründen. „Wir haben in unseren Geburtsvorbereitungskursen immer mit so einem Holzbaby gearbeitet – das war so hässlich“, sagt sie. Dann, in einer Zeitschrift, sieht sie ein Reborn Baby und ist begeistert. Online sucht sie nach anderen Rebornerinnen in Berlin und findet so eine, die ihr das Handwerk beibringt.

„Mittlerweile brauche ich für einen Kopf, wenn’s schnell geht, so acht Stunden“, sagt sie. Rooting – so nennt sich das Einziehen der Haare. Feines Mohair wird mit speziellen Nadeln – oft braucht man verschiedene Stärken – durch die Kopfhaut gezogen. Für den besonders echten Look werden ein bis maximal drei Haare pro Stich eingezogen – sogenanntes Mono- oder Microrooting. Eine Fleißarbeit. Dann das Einfärben der Haut: Kleine Unregelmäßigkeiten, Adern, Storchenbisse, Fältchen und das Weiß der Fingernägel werden in bis zu 30 Schichten eingearbeitet. Für die Augen besorgt man sich am besten mundgeblasene Glasaugen aus Lauscha in Thüringen, ein Ort, der auch außerhalb der deutschen Grenzen für sein Glasbläserhandwerk bekannt ist.

Drei bis vier Tage Arbeit

Von innen wird das Baby schließlich mit Edelstahlgranulat und Füllwatte so gefüllt, dass es genauso schwer wie ein echtes Baby ist. Dann zieht man noch einen Strampler an und gibt einen Schnuller in den Mund – fertig.

Sabine K. braucht ungefähr drei bis vier Tage pro Baby, manchmal länger. Das ist vergleichsweise schnell. „Die Arbeitszeit wäre gar nicht zu bezahlen“, sagt Sabine K. Große Gewinne will sie damit nicht machen. „Hauptsache, der Bausatz kommt wieder rein.“ Auch sie hat einen kleinen, unfertigen Levi in ihrer Bastelecke liegen, der fertig dann 250 Euro kosten soll.

Manchmal kommen über Facebook Anfragen für Auftragsarbeiten. Frauen schicken Sabine K. dann zum Beispiel Babybilder der eigenen Kinder, die sie nachrebornen soll. Eine aktuelle Anfrage kommt von einer Frau, die ihren Kindern, sobald sie 18 werden, eine Rebornversion von ihnen selbst schenkt. „Das ist doch etwas Besonderes – besser als Fotos“, sagt Sabine K.

Aber es gibt auch Grenzen. Extreme Frühgeburten würde sie nicht nachrebornen, und auch von Modulen, die Atem oder Herzschlag simulieren, hält sie überhaupt nichts. „Das geht zu weit! Es muss immer noch eine Puppe bleiben.“ Und dann der neueste Trend: Bausätze aus Silikon. Hier bleibt die Puppe nicht steif wie bei den sonst üblichen Vinyl-Bausätzen. Die Arme und Beine fallen in alle Richtungen, wenn man sie nicht hält. „Das ist gruselig, das sieht wirklich aus wie ein totes Baby.“

Eine besondere Anfrage, bei der sich Sabine K. erst nicht sicher war, kam vor etwa einem Jahr. Eine Frau, die ihre kleine Tochter nach nur sechs Wochen durch plötzlichen Kindstod verloren hat – vor 30 Jahren. Die wenigen Fotos verblassen langsam, die Grabstelle wurde nach 20 Jahren standardmäßig eingeebnet. „Ihr fehlte ein Ort für ihre Trauer – das habe ich total verstanden“, sagt Sabine K. Sie willigt ein und überbringt das fertige Reborn Baby persönlich. Ein besonderer Moment für die neue Reborn-Mama – ebenso für Sabine K., die gern hilft. „Ich möchte diesen Frauen einfach nur einen Gefallen tun und ein schönes Baby machen.“

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