Debatte Krieg in Syrien: Ein Ende des Tötens?

Russland, Iran und Türkei könnten den Waffenstillstand in Syrien herbeiführen. Demokratie wird es nicht geben, aber vielleicht ein bisschen Frieden.

Blick auf eine türkische Militärstation

Ein türkischer Panzer am Euphrat. Erdoğan will dort ein kurdisches Autonomiegebiet verhindern Foto: reuters

Glaubt man aktuellen Meldungen aus Syrien, dann geht dieser blutige, seit sechs Jahren andauernde Krieg seinem Ende entgegen. Der sogenannte Islamische Staat hat nahezu sein gesamtes Territorium verloren. Zuletzt verkündeten amerikanische, russische und kurdische Militärs gemeinsam, dass die letzten Bastionen des IS gefallen sind. Damit hat die internationale Anti-IS-Koalition, zumindest oberflächlich gesehen, ihr Ziel weitgehend erreicht. Das „Kalifat“ existiert nicht mehr, die Strukturen der IS-Islamisten sind zerschlagen, und folgerichtig beginnen sowohl die USA als auch Russland damit, Truppen abzuziehen.

Aber einmal abgesehen davon, dass niemand weiß, was aus den überlebenden IS-Kämpfern wird, war der Kampf gegen den IS nur eine der vielen Facetten des Kriegs in Syrien. Nur noch wenige erinnern sich daran, dass der Bürgerkrieg begann, als zunächst friedliche Demonstranten die Diktatur des Assad-Regimes stürzen wollten. Den sich daraus entwickelnden Bürgerkrieg nutzte der IS, um sich große Teile des Landes für sein Kalifat zu schnappen; Gebiete, in denen Assad die Kon­trol­le verloren hatte, die aber von seinen ursprünglichen, demokratischen Gegnern auch nicht regiert wurden, weil die Opposition weitgehend von Islamisten gekapert worden war.

Nun ist der IS vertrieben und zurück bleibt ein Flickenteppich unterschiedlicher Einflusszonen. Assad hat mit russischer und iranischer Hilfe die großen Städte im Westen, einschließlich der sunnitischen Hochburg Aleppo, zurückerobert und kontrolliert die Wüste südlich und westlich des Euphrat. Nordöstlich des Euphrat kontrollieren die von kurdischen Milizen dominierten und von den USA unterstützten SDF (Demokratische Kräfte Syriens) fast ein Viertel des syrischen Territoriums.

Im Westen und Süden des Landes gibt es noch wenige von Aufständischen gehaltenen Enklaven. Alle anderen Aufständischen, ob Demokraten, Säkulare oder Hardcore-Islamisten, sind in die Provinz Idlib, die an die Türkei grenzt, abgedrängt worden und werden von Assads Luftwaffe, teilweise mit Giftgas, angegriffen. Ebenfalls im Nordwesten gibt es die kurdische Enklave Afrin, die keine direkte Verbindung zu den anderen von Kurden dominierten Gebieten weiter östlich hat.

Der Traum vom demokratischen Syrien

Das ist der aktuelle Stand auf dem syrischen Schlachtfeld nach dem Ende des IS Kalifats. Keine der verbliebenen Kriegsparteien ist mit diesem Ergebnis zufrieden; Friedensgespräche, wie die UNO sie jetzt in Genf führt, sind deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Opposition, Islamisten wie Demokraten, fordert nach wie vor den Rücktritt und die Verurteilung Assads als Kriegsverbrecher – das mag moralisch berechtigt sein, ist politisch jedoch irrelevant, weil es niemanden mehr gibt, der diese Forderung durchsetzen kann oder will.

Die USA haben ihr Ziel, den IS zu besiegen, erreicht. Ein weiteres Engagement Trumps in Syrien ist nicht erkennbar, es sei denn, er will das gemeinsam mit der SDF eroberte Territorium für einen späteren Feldzug gegen den Iran nutzen und deshalb gegenüber Assad verteidigen. Assad selbst verkündet bei jeder Gelegenheit, dass er die Kontrolle über alle Gebiete Syriens zurückerobern will, doch ohne die massive Unterstützung des Iran und vor allem Russlands bleibt das reine Propaganda.

Wenn Putin nun auf einen Waffenstillstand hinarbeitet, dann ist das mehr, als die UNO im Moment erreichen kann

Allerdings hat weder Putin noch die iranische Führung ein Interesse daran, den Krieg für Assad fortzusetzen. Putin will seine Truppen zurückholen und die enormen Kriegskosten reduzieren. Gleichzeitig will er seine Erfolge in Syrien stabilisieren, ohne auf Dauer Assad weiter militärisch unterstützen zu müssen. Deshalb sind Putin und mit Abstrichen auch der Iran im Moment die Einzigen, die den syrischen Flickenteppich so ordnen wollen, dass mindestens ein stabiler Waffenstillstand möglich wird. Weil Russland bei den Aufständischen keine Ansprechpartner hat, hat Putin die Türkei mit ins Boot geholt.

Der Traum eines demokratischen Syrien, in dem die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen friedlich zusammenleben können, ist damit in weite Ferne gerückt. Das ist eine Tragödie, aber noch schlimmer wäre es, einen aussichtslosen Krieg endlos fortzusetzen. Syrien ist lange genug das Schlachthaus gewesen, in dem ausländische Mächte ihre Kämpfe ausgetragen haben. Wenn Putin nun auf einen Waffenstillstand hinarbeitet, ist das zunächst einmal mehr, als die UNO im Moment erreichen kann.

Wieviel Macht hat Putin tatsächlich?

Auch wenn ein Frieden noch lange nicht erreicht wird – wenigstens das Töten könnte aufhören. Dafür müsste Putin seinen Protegé Assad zu Kompromissen zwingen. Anderseits muss Erdoğan auf die Rebellen einwirken, die jetzt noch in der Umgebung von Damaskus ausharren. Wenn Assad Idlib als sicheres Gebiet anerkennt, könnten die Kämpfer aus den Enklaven im Westen dorthin ausweichen. Außerdem müsste es eine vorläufige Regelung für die Kurden geben.

Die Kurden sind bislang die einzigen Gewinner des Bürgerkriegs. Vor dem Krieg eine verfemte Minderheit, der das Regime sogar oft die syrische Staatsangehörigkeit absprach, sind sie jetzt dabei, in „Rojeva“ eine gesicherte Autonomiezone aufzubauen. Assad ist wohl im Prinzip bereit, sich damit zu arrangieren, strittig ist indes, wie groß das kurdische Territorium sein soll. Hier kommt die Türkei ins Spiel. Erdoğan will ein kurdisches Autonomiegebiet am liebsten ganz verhindern, zumindest aber die Kurden westlich des Euphrat vertreiben. Dort liegt aber die kurdische Enklave Afrin, traditionelles Siedlungsgebiet der Kurden, das diese niemals kampflos aufgeben werden.

Erdoğan ist drauf und dran, seine Armee nach Afrin zu schicken. Türkische Truppen sind als Beobachter in der Deeskalationszone Idlib sta­tio­niert und könnten von dort aus nach Afrin marschieren. Bald wird sich zeigen, ob Putin tatsächlich die Macht hat, Erdoğan zu einem Kompromiss mit den Kurden zu zwingen. Das wäre immerhin ein positives Ergebnis der russischen Hegemonie in Syrien.

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