„Hartz IV ist nicht sexy“

Geht das? Arbeitslosengeld II beziehen und glücklich sein? Mit der provokanten Kampagne „Happy Hartz“ macht der Verein Sanktionsfrei auf Probleme des Sozialstaats aufmerksam. Im Gespräch verrät Vereinsgeschäftsführerin Helena Steinhaus, welche Idee dahintersteht

In Berlin können Hartz-IV-Empfänger entspannt in die Zukunft blicken – zumindest auf Plakaten Foto: Robert Müller

Interview Sophie-Isabel Gunderlach

taz: Frau Steinhaus, haben Sie schon mal Hartz IV bezogen?

Helena Steinhaus: Ja, ganz am Anfang, nachdem es eingeführt wurde, durch meine Mutter. Und auch zweimal nach dem Studium, jeweils ein halbes Jahr.

Waren persönliche Erfahrungen auch eine Inspiration für die Aktion „Happy Hartz“, die Ihr Verein „Sanktionsfrei e. V.“ am 5. Dezember gestartet hat?

Auch. Ich kann mich dadurch natürlich besser damit identifizieren, wie die Menschen sich fühlen, wenn sie Hartz IV bekommen. Unser Verein gleicht Hartz-IV-Sanktionen aus – dadurch haben wir ebenfalls viele Einblicke und Kontakte in dieses Themenfeld.

Bei der Aktion zeigen Sie auf Plakaten Menschen, die Hartz IV ausdrücklich loben und glücklich damit zu sein scheinen. Was genau wollen Sie damit erreichen?

Wir wollen die Diskrepanz zwischen dem, wie wir uns Hartz IV wünschen würden und wie der aktuelle Zustand aussieht, aufzeigen. Darum provozieren wir mit den Plakaten auch bewusst – mit einfachen Sätzen. Dass die so viel Aufruhr entfachen, macht doch deutlich: In diesem System liegt ganz viel im Argen. Wir wollen unbedingt, dass darüber geredet wird. Hartz IV ist nicht sexy, keiner will darüber sprechen, alle hören weg. Man will damit nichts zu tun haben – genau deswegen machen wir das.

Die Resonanz auf Ihre Kampagne ist – insbesondere online – sehr hoch. Was bekommen Sie da für Rückmeldungen?

Teils bekommen wir Rückmeldungen von Menschen, die uns schon länger kennen und enttäuscht sind von dieser ironischen Darstellung. Ganz viele Menschen sagen aber auch: Super, dass das mal anders aufgearbeitet und anders zugänglich gemacht wird.

Und welches Feedback überwiegt?

Insgesamt überwiegt ganz klar das positive Feedback.

Hatten Sie keine Bedenken, dass sich Hartz-IV-Empfänger von der Kampagne gekränkt fühlen könnten?

Wir hatten eher die Sorge, dass Menschen, die Hartz IV für okay halten – sei es, weil sie sich damit nicht auseinandersetzen oder wegen der politischen Einstellung – sich bestätigt fühlen könnten. Das ist auch eine große Befürchtung von Betroffenen – dass die Gesellschaft denkt, dass alles ist doch nicht so schlimm.

Haben Sie solche Rückmeldungen bekommen?

Der Verein wurde vor zwei Jahren von engagierten BerlinerInnen gegründet. In Partnerschaft mit zwei AnwältInnen kämpfen sie gegen Hartz-IV-Sanktionen.

Über die Plattform können Betroffene Hilfe beziehen, um rechtssichere Widersprüche einzulegen. In bestimmten Fällen springt der Verein auch finanziell ein – das Geld kommt aus einem Solidartopf.

Den meisten ist schon klar, dass „Happy Hartz“ Satire ist.

Es handelt sich ja vor allem um eine Onlinekampagne. Aber Sie kleben ja auch Plakate?

Wir wollen, dass deutschlandweit darüber gesprochen wird – dafür nutzen wir vor allem das Internet. Plakate kleben wir nur in Berlin und auch nur zwei verschiedene Motive. Darum wollten wir uns anfangs auch nicht zu erkennen geben.

Können Sie das genauer erklären?

Wir wollten, dass die Leute diskutieren und dass nicht klar ist, wer mit dieser Kampagne was bezweckt. Es war klar, dass viele Gefühle aufkommen werden, und diese Gefühle wollten wir erst einmal unkommentiert im Raum stehen lassen.

Auf Ihren Plakaten steht „Mein Jobcenter“. Haben denn die echten Jobcenter, also die Bundesagentur für Arbeit, darauf reagiert?

Die haben versucht, herauszufinden, wer wir sind. Wir haben auf dem Plakat ja auch eine Internetseite (www.mein-jobcenter.­com)angegeben. Die Bundesagentur hat dann bei uns angerufen, noch in der Zeit, als wir nicht geoutet waren. Die wussten also nicht, wer wir sind und was wir erreichen wollen. Wir haben dann gesagt, wir machen eine Kampagne: Schaut mal, so schlimm ist Hartz IV auch nicht – das haben sie erst einmal akzeptiert. Aber natürlich kann die Bundesagentur sich auch nicht zu ablehnend zeigen, denn sie kann schlecht sagen: Bei der Kampagne lügen alle und das stimmt doch nicht. Wobei genau das der Fall ist: Hartz IV macht unglücklich und reicht oftmals nicht einmal für ein Leben am Existenzminimum.

Und seitdem klar ist, was wirklich dahintersteckt?

Wir wissen, dass die Bundesagentur ihre Mitarbeiter über die Kampagne informiert hat. Bei uns direkt hat sie sich seither aber nicht mehr gemeldet.

Und den Gegensatz zwischen Wunsch und Realität wollten Sie bewusst herausstellen?

Ganz genau. Es sind einfach Tragödien, die sich da häufig abspielen, und keine Einzelfälle. Viele haben wirklich Horrorgeschichten zu erzählen, und diesen Gegensatz wollen wir zeigen: Wie auf den Plakaten dargestellt, ist es zwar nicht, aber so sollte es sein. Außerdem wollen wir auch Aufmerksamkeit auf unser neues Programm „Hartz Plus“ lenken

„Der Hartz-IV-Satz kann um bis zu 100 Prozent gekürzt werden – das ist unglaublich“

Was für ein Programm ist das?

Wir zahlen 100 Menschen, die von Sanktionen betroffen sind oder deren Leistungen aus anderen Gründen nicht voll ausgezahlt werden, bis zu 200 Euro pro Monat aus, und zwar für ein volles Jahr. Wir wollen vor allem herausfinden: Wenn man sicher weiß, da ist Unterstützung und die ist auch immer da – ändert das das Verhalten und Lebensgefühl der Menschen?

Und was sind hier erste Ergebnisse?

Wir haben das Programm noch nicht gestartet. Wir wollen am 15. Januar damit loslegen.

Wie finanzieren Sie das?

„Hartz Plus“ finanzieren wir ausschließlich über Spenden. Dafür wollen wir 20.000 Euro sammeln. Darum startete „Happy Hartz“ auch noch vor Weihnachten – jetzt ist die Spendenbereitschaft bei den Menschen doch sehr hoch.

Sie springen mit „Hartz Plus“ aber nur bei Kürzungen ein und zahlen das nicht auf den vollen Hartz-IV-Satz drauf?

Das können wir nicht, auch wenn wir finden, der Hartz-IV-Satz ist zu wenig. Aber wenn wir das machen, werden die Bezüge gleich gekürzt. Also versuchen wir wenigstens dafür zu sorgen, dass die Leute, die von Sanktionen betroffen sind, nicht unter das Existenzminimum fallen.

Foto: Christian Stollwerk

Helena Steinhaus

30, hat Kulturwissenschaften studiert und ist Gründungsmitglied und Geschäftsführerin von Sanktionsfrei e. V.

Und wie legen Sie fest, wer das Geld bekommt?

Auf unserer Homepage kann sich jeder anmelden, und wir wählen 100 Personen per Zufall aus.

Was machen Sie aber mit den Leuten, die Sie gezielt ausnutzen, etwa weil sie Sanktionen bewusst in Kauf nehmen?

Das ist immer die erste Frage, die kommt. An diesen Einzelfällen können wir nichts ändern, und wir beurteilen das auch nicht. Doch die viel größere Masse an Menschen tut das nicht. Die werden bestraft, ohne etwas dafürzukönnen oder für einen einzigen Fehler – das kann es doch nicht sein. Ich meine, man muss das noch mal verdeutlichen: Der Hartz-IV-Satz – das Existenzminimum – kann um bis zu 100 Prozent gekürzt werden, und das in einem reichen Land wie Deutschland. Das ist unglaublich.

Sind Sie zufrieden mit dem Verlauf Ihrer Kampagne?

Total. Die letzte Woche war ein einziger Knall. Wir freuen uns, dass nun genau die Menschen, die sich nie mit Hartz IV und insbesondere mit den Sanktionen auseinandergesetzt haben, darüber sprechen – das war unser Ziel.