Jörn Kabisch Angezapft
: Winterbier, das ist Stollen in flüssig

Foto: privat

Von allüberall blicken eine derzeit Nikoläuse, Schneekristalle oder Weihnachtskugeln auf den Etiketten an. „Winterbier“, „Weihnachtsbier“, „Festbier“ steht auf den Flaschen. Ja, ist den Brauern das Bier nicht einmal vor dem ganzen Dezember-Klingelingeling heilig?

Die Aufmachung verbirgt, dass Winterbier eine Tradition hat, die über Jahrhunderte zurückreicht und kaum was mit heutiger Weihnachtskultur verbindet. Schon im bayerischen Reinheitsgebot von 1516 ist von Winterbier die Rede, gleichzeitig wird angeordnet, es doppelt so teuer zu verkaufen wie das Sommerbier. In der dunklen Jahreszeit ballten sich damals die Fastentage, erst im Advent, dann vor Ostern. Gut möglich, dass die Obrigkeit besorgt war, dass ihre Untertanen nicht zu viel über den Durst tranken. Schon immer eröffnete ein untergäriges Dunkles den Winter: kurz gelagert, wenig gehopft und deshalb sehr süffig.

Ein echter Bierstil ist das Winterbier aber dennoch nie geworden. Alles, was ein bisschen mehr Alkohol und Malzigkeit in sich hat, läuft heute Gefahr, Engelchen auf die Flasche geklebt zu bekommen: Märzen und Bock, auch Porter oder Stout. Der Geschmack spielt dabei ebenfalls keine Rolle.

Dabei wäre ein Weihnachtsbier doch vielleicht genau eines, das zur Gans passt, sich mit Desserts oder Gebäck verträgt, die entsprechend der Jahreszeit mit viel Zimt, Nelken oder Kardamon gewürzt sind oder auch mit Nüssen, Rosinen, kandierten Früchten und Marzipan. Wenn Bier schon flüssiges Brot heißt, warum soll es nicht flüssigen Stollen geben?

Der Fuhrmannstrunk aus dem Brauereigasthof Grosch in Rödental in der Nähe von Coburg ist genau so ein Exemplar. Das dunkle Märzen verdankt seinen Namen einer Handelsstraße, die den Ort im Mittelalter streifte. Doch als ich es im Sommer trank, musste ich eher an die Aromatik der mittelalterlichen Küche denken – genau jene, die sich heute mit der Weihnachtsküche verbindet.

FuhrmannstrunkBraugasthof Grosch Rödental, 5,5 %-vol.

Der Fuhrmannstrunk ist ein sehr malzbetontes Bier, schon wenn man das Glas mit dem dunkelbraunen Bier an die Nase hält, aber auch beim ersten Schluck. Belässt man das Bier ein wenig auf der Zunge, differenzieren sich die Aromen: leichter Nougat, Rosinen, Orangenschale tauchen auf, dazu Kaffeenoten. Dann setzt eine sanfte Hopfenbitterkeit ein und man erinnert sich, dass es sich doch um Bier handelt, und zwar ein mildes mit harmonischer Perlung.

Der Kontrast ist der Grund, warum das Bier die volle Punktzahl auf meiner Süffigkeitsskala bekommen hat. Es fällt schwer aufzuhören, genauso wie bei einem feinen Stollen.