Finanzkasino
: Umverteilung – wieso denn?

Wie Neoliberale eigene Statistiken basteln und Vermögensteuern bekämpfen

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Ulrike Herrmann

ist Wirtschaftskorrespondentin der taz. In ihrem Buch „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012) hat sie sich ausführlich mit der Ungleichheit in Deutschland beschäftigt.

Ungleichheit in Deutschland? Dieses Thema sei völlig überbewertet und interessiere nur die „Freunde der Umverteilung“ – meint die FAZ. Zu den querulantischen Umverteilungsfreunden zählt die Zeitung auch den französischen Ökonomen Thomas Piketty, der im Dezember neue Zahlen dazu veröffentlicht hat, wie sich die Ungleichheit bei den Einkommen weltweit entwickelt hat.

Für Deutschland kam heraus, dass die reichsten zehn Prozent 40 Prozent des Volkseinkommens abräumen. Für die unteren 50 Prozent der Bevölkerung bleibt da nur wenig übrig. Sie kommen auf ganze 17 Prozent des Volkseinkommens. Das ist eine extreme Einbuße: Vor fünfzig Jahren ging noch ein Drittel aller Einkünfte an die untere Hälfte der Bundesbürger.

Die FAZ kann die Aufregung über diesen Abstieg der ärmeren Hälfte nicht verstehen: „Seit 2005 (…) stagniert die gesamtgesellschaftliche Ungleichheit. Sie liegt immer noch deutlich höher als 1980, doch offenbar wurde vor ungefähr zwölf Jahren ein Mittel gefunden, das den weiteren Anstieg zumindest gestoppt hat. War das Gerhard Schröders Agenda 2010 mit den Hartz-Gesetzen? Darüber wäre zu diskutieren. Kein Wunder, dass Freunde der Umverteilung diesen Trendbruch gerne verschweigen.“

Von einer Trendwende träumt nicht nur die FAZ. Das Jahr 2005 ist längst zum Fetisch aller neoliberalen Politiker und Ökonomen aufgestiegen. Auch ifo-Chef Clemens Fuest betont gern, dass genau in diesem Jahr eine Trendumkehr zu beobachten sei: Von 1995 bis 2005 sei die Ungleichheit zwar gestiegen – aber „seit 2005 ist die Einkommensungleichheit ungefähr konstant.“

Ähnlich formulierten es die „Fünf Weisen“ in ihrem jüngsten Jahresgutachten: „Die Ungleichheit der Nettoeinkommen ist seit dem Jahr 2005 weitgehend stabil geblieben. (…) Dass dennoch ein immer intensiverer Ungleichheitsdiskurs geführt wurde, dürfte ein Auseinanderklaffen von Wahrnehmung und statistischer Faktenlage widerspiegeln.“ Wer die Ungleichheit kritisiert, hat also einen Sprung in der Linse und kann die heile deutsche Welt nicht sehen.

Nur neoliberale Ökonomen können auf eine derart seltsame Logik verfallen: Für sie ist Ungleichheit nur ein Problem, wenn sie zunimmt. Sobald der Anstieg stagniert, ist alles bestens – selbst wenn der Unterschied zwischen Arm und Reich extrem hoch ist.

Zudem stimmt es nicht, dass die Ungleichheit ab 2005 stabil blieb. Einer der Fünf Weisen ist der Keynesianer Peter Bofinger, der seine vier neoliberalen Kollegen quält, indem er fast jedes Kapitel des Jahresgutachtens durch „eine andere Meinung“ ergänzt. Bofinger weist darauf hin, dass die Einkommen der Oberschicht zwischen 2005 und 2014 prozentual etwa doppelt so stark gestiegen sind wie die Einkünfte der Unterschicht.

Vor allem aber vergleichen die neoliberalen Ökonomen Äpfel mit Birnen. Im Jahr 2005, man erinnert sich, waren viele Menschen arbeitslos. Jetzt herrscht fast Vollbeschäftigung. Die Ungleichheit müsste also abnehmen – weil Arbeitslose einen Job gefunden haben und Geld verdienen. Es ist daher ein Alarmzeichen, wenn im Boom die Ungleichheit nicht sinkt. Es ist in Wahrheit genau anders herum, als die FAZ vermutet: Die Agenda 2010 hat nicht nur die Ungleichheit vor 2005 verschärft – dieses politische Lohndumping sorgt jetzt dafür, dass sogar in der Hochkonjunktur die Ungleichheit nicht abnimmt, sondern tendenziell weiter steigt.

Ist die Ungleichheit bei den Einkommen schon extrem, so ist es beim Besitz noch schlimmer. Genaue Daten zum Vermögen fehlen für Deutschland, weil es nur freiwillige Haushaltsbefragungen gibt – an denen die Superreichen nicht teilnehmen. Aber Schätzungen gehen davon aus, dass das reichste eine Prozent bereits 32 Prozent des Volksvermögens besitzt. Das reichste Tausendstel, also die obersten 0,1 Prozent, kommt allein schon auf 16 Prozent aller Besitztümer. Für die untere Hälfte bleibt hingegen nichts. Die ärmeren 50 Prozent haben gar kein Vermögen – sondern höchstens Schulden.

Deutschland ist eine unfaire Klassengesellschaft, weswegen immer wieder diskutiert wird, eine Vermögensteuer einzuführen. Die gängigen Modelle sehen stets ähnlich aus: Eine Vermögensteuer würde nur anfallen, wenn ein Single mehr als eine Million Euro besitzt – nach Abzug aller Schulden. Bei einem Ehepaar wären es zwei Millionen. Für Betriebe gäbe es ein Schonvermögen von fünf Millionen. Konsequenz: Die Steuer würde vor allem vom reichsten Tausendstel getragen – also von jenen wenigen Personen, die gemeinsam bereits 16 Prozent des Volksvermögens besitzen. Die meisten Modelle rechnen mit einem Steuersatz von einem Prozent, was im Jahr etwa 18 Milliarden Euro bringen würde. So weit, so klar.

Das Lohndumping der Agenda 2010 sorgt dafür, dass sogar in der Hochkonjunktur die Ungleichheit nicht abnimmt

Doch im Dezember wartete plötzlich eine ifo-Studie mit erstaunlichen Behauptungen auf: In Wahrheit würde eine Vermögensteuer gar kein Geld einspielen – sondern horrende Kosten einfahren! Die Steuerverluste würden sich auf 30 Milliarden Euro summieren.

Begründung: Mit einer Vermögensteuer würden die Renditen von Anlageobjekten sinken und sich Investitionen nicht mehr lohnen. Also würde das Wachstum schrumpfen und die Arbeitslosigkeit steigen – futsch wären die Steuermilliarden.

Diese angebliche Kausalkette klingt vertraut, wird sie doch bei jeder Steuererhöhung für die Reichen vorgebracht. Eine Behauptung wird aber nicht wahrer, indem man sie permanent wiederholt. Die Neoliberalen begehen einen Denkfehler, über den sich der US-Multimilliardär Warren Buffett seit Jahren lustig macht: „Leute investieren, um Profit zu machen. Bisher habe ich noch niemanden gesehen, der eine sinnvolle Investition unterlässt, weil er hinterher auf den Gewinn Steuern zahlen muss.“ Aber Argumente zählen nicht. Die nächste ifo-Studie ist bestimmt wieder erstaunlich.