Olympische Hoffnung

Die beiden Koreas reden wieder miteinander. Der Norden sendet eine Delegation zu den Olympischen Spielen, der Süden will Familienzusammenführungen. Doch wie nachhaltig ist die Entwicklung?

Ein Selfie, das um die Welt ging: die ­Turnerinnen Hong Un Jong aus Nordkorea und Lee Eun Ju aus dem Süden (rechts) bei der Olympiade in Rio 2016 Foto: Dylan Martinez/reuters

Aus Seoul Fabian Kretschmer

Was vor einigen Monaten noch nahezu unmöglich schien, ging nun am Dienstag scheinbar reibungslos vonstatten: Nach einer kaum einstündigen Verhandlungsrunde am Morgen haben sich die beiden koreanischen Delegationen bereits auf die Teilnahme nordkoreanischer Athleten bei der Olympiade in Pyeongchang geeinigt.

Am Nachmittag folgte der nächste Coup: Nordkorea eröffnet seine Militärhotline, also die direkte telefonische Verbindung für Notfälle, entlang der Grenze. Vor Mitternacht schließlich einigten sich beide Seiten auf militärische Verhandlungen sowie den Willen für künftige Austauschprojekte.

Bahnt sich da ein Wendepunkt der innerkoreanischen Beziehungen an?

Wer heute morgen den koreanischen Delegationen beim gemeinsamen Handschlag vor Reportern in der symbolträchtigen demilitarisierten Zone zusah, bekam zunächst einen solchen Eindruck vermittelt. Nordkoreas Delegationsleiter Ri Son Gwon, der eigentlich als hartgesottener Militär gilt, erschien in Anzug mit Krawatte und breitem Lächeln im Gesicht. „Das koreanische Volk hat sich ein Geschenk fürs neue Jahr verdient“, eröffnete Ri die Verhandlungsgespräche.

Vollkommen unerwartet schlug er vor, die kompletten Gespräche in aller Öffentlichkeit abzuhalten, was jedoch von den Südkoreanern abgelehnt wurde. Die Botschaft war klar: Nordkorea will öffentlichkeitswirksam punkten, sich als staatsmännisch und verantwortungsvoll präsentieren. Die lokale Presse zeigte sich ob der nordkoreanischen Charme-Offensive überaus erstaunt: Solch gute Stimmung habe man auch bei vergangenen Verhandlungen nur selten erlebt.

Gegen neun Uhr Ortszeit hielten die Delegationen schließlich ihre Resultate in einer gemeinsamen Stellungnahme fest: Nordkorea wird für die Olympiade mehrere Delegationen schicken, die neben den Athleten auch Parteikader, Journalisten und eine Taekwondo-Gruppe umfasst. Südkorea erklärte sich zudem bereit, während des Sportereignisses die strikten bilateralen Sanktionen zu lockern. Unter den jetzigen Bestimmungen sind allein Verbindungen der nordkoreanischen Fluglinie Air Koryo illegal, ebenso fallen viele von Kim Jong Uns potenziell nominierten Delegationsmitliedern unter die schwarze Liste.

Vor allem aber haben sich beide Seiten zu weiteren Verhandlungen über militärische Entspannung und zivilen Austausch entschieden. Der Süden wird versuchen, weitere Treffen der vom Koreakrieg getrennten Familien zu organisieren. Auch dies scheint nach Jahren wieder in greifbare Nähre gerückt. Die gemeinsame Stellungnahme der zwei Koreas war nicht zuletzt auch ein Fingerzeig an Trump, den Konflikt in die eigene Hand nehmen zu wollen.

Ob von den Verhandlungen jedoch auch nachhaltige Einigungen in den zentralen Streitfragen zu erwarten sind, bleibt dennoch zweifelhaft. „Sämtliche Zugeständnisse, die die Seouler Regierung macht oder erhält, muss sie schlussendlich vor Washington rechtfertigen – was momentan extrem schwierig ist“, meint Korea-Experte Andray Abrahamian.

Aller Anfang 776 v. Chr. fanden die ersten Olympischen Spiele der Antike statt, von denen es schriftliche Zeugnisse gibt. Um Athleten und Zuschauern eine ungehinderte Anreise zu den Wettkampfstätten zu ermöglichen galt für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten eine Waffenruhe.

Die Neuzeit1894 fanden die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit statt. Die „Jugend der Welt“ sollte sich nicht auf dem Schlachtfeld, sondern auf dem Sportplatz bekämpfen. Zur olympischen Folklore gehört es bis heute, dass die Vereinten Nationen eine Resolution zum Olympischen Frieden verabschieden.Der aktuellen Version haben Nord- und Südkorea bereits zugestimmt.

Die Realität Die bei Olympia allgegenwärtige Friedensrhetorik wurde von diktatorischen Regimes immer wieder für Propagandazwecke missbraucht. Die Nazi-Spiele 1936 sind hierfür beispielhaft. Palästinensische Terroristen scherten sich 1972 in München ebenso wenig um den Olympischen Frieden wie Krieger der Army of God 1996 in Atlanta.

Die Hoffnung Olympiadiplomatie kann mäßigend auf Konflikte einwirken. So gab es mitten im Kampf um diplomatische Anerkennung von 1956 bis 1964 gesamtdeutsche Olympiateams. Das gemeinsame Einlaufen von Nord- und Südkoreanern 2000 in Sydney gilt als Erfolg der Sportdiplomatie.

Der Gaststipendiat des Pacific Forum CSIS in Honolulu hat jahrelang Bildungsinitiativen in Nordkorea geleitet, unter anderem marktwirtschaftliche Kurse für Jungunternehmer in Pjöngjang. Er meint, dass Nordkorea kaum über sein Atomprogramm verhandeln wird, genauso wenig wie Südkorea auf die Forderung eingehen wird, die gemeinsamen Militärmanöver mit den USA vollständig einzustellen. „Insofern könnte sich das günstige Zeitfenster für Verhandlungen schon bald wieder schließen“, meint Abrahamian.

In Südkorea ließen die Ereignisse die meisten Leute ohnehin gleichgültig: Laut Angaben der Internetfirma Naver, dem größten Suchanbieters des Landes, haben sich die Südkoreaner online vor allem über den neuesten K-Pop-Tratsch und das derzeit eisige Wetter informiert. Die innerkoreanischen Gespräche rangierten nicht mal unter den häufigsten zehn Suchergebnissen am Dienstag.

„Ob Nordkorea an den Olympischen Spielen teilnimmt, ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal. Sollen sie doch machen“, sagt die Studentin Kim Se Young. Die 27-Jährige ist an diesem sibirisch kalten Nachmittag mit ihrem Freund zur Eislaufbahn am Seouler Rathausplatz gekommen.

In der Wartehalle wärmt sich Rentner Kim Yeong Ju auf. Große Illusionen mache auch er sich nicht über die jüngste Annäherung der zwei Koreas: „Viel erwarte ich mir nicht davon, dass die Nordkoreaner jetzt eine Delegation zu uns schicken. Erstmal müssen sie noch beweisen, dass sie es überhaupt aufrichtig meinen.“ In seinem Leben habe er bereits unzählige Annäherungen und Krisen erlebt, wurde aber immer vom Regime in Pjöngjang enttäuscht.