Lila Tomaten

Eine Reportage über die Tomate: Sieben Jahre hat die holländische Journalistin Annemieke Hendriks die Wege des Gemüses verfolgt

Annemieke Hendriks: „Tomaten. Eine Reportage“. Bebra Verlag, Berlin 2017, 272 Seiten, 18 Euro

Von Helmut Höge

Die Tomate ist unser beliebtestes Gemüse. Tag und Nacht kreuzen sich auf Lkws transportierte Tomaten aus Spanien auf dem Weg nach Rumänien, aus Holland nach Italien und umgekehrt. Immer mehr Tomaten wachsen auf Steinwolle in beheizten Gewächshäusern bei künstlichem Licht, auch bei den Produzenten im Süden: Sie sind damit schneller auf dem Markt und können mehrmals im Jahr ernten.

Tomaten werden zwar regionalisiert und ökologisiert angeboten: Sie kommen aus „Italien, Spanien und Holland“ oder werden – in Österreich – als garantiert „gentech-frei“ verkauft, aber es gibt nirgendwo gentechnisch veränderte Tomaten im Handel.

Es ist ein Etikettenschwindel. Und so gut wie alle Tomatensamen stammen aus Holland – von Tomatenzüchtern, deren Firmen großenteils den multinationalen Chemiekonzernen Monsanto, Bayer und Syngenta gehören. Letzterer wurde gerade von einem chinesischen Konzern, der „China National Chemical Corporation“ übernommen und Erstere schlossen sich zusammen. Monsanto stellt auch „Bio­tomaten“ her.

„Heute sind noch zehn Samenhäuser verantwortlich für 85 Prozent des Weltmarkts in Gemüsesamen“, schreibt die holländische Autorin Annemieke Hendriks in ihrer hervorragenden Reportage „Tomaten. Die wahre Identität unseres Frischgemüses“. Darin interviewt sie einen Manager der niederländischen Saatgut-Zuchtfirma Rijk Zwaan, die „an vorderster Front“ gegen die Patentierung von klassischen Samenveredlungsprozessen kämpft. Gleichzeitig arbeitet Rijk Zwaan jedoch mit dem Biotech-Unternehmen KeyGene zusammen und erwarb 2016 ein Tomatenpatent.

Annemieke Hendriks nennt Rijk Zwaans Firmenpolitik „zwiespältig“, während der Manager meint: „Wir haben eine kuriose Situation.“ Damit will er sagen, dass seine Firma auch weiterhin und mit guten Argumenten gegen EU-Patente auf Lebensmittel kämpft, aber dennoch dabei mitmachen muss, um konkurrenzfähig zu bleiben.

In England wurde eine lilafarbene Tomate auf herkömmliche Weise aus alten Rassen gezüchtet, und fast zur gleichen Zeit entwickelte das Wageningen University & Research Center in Holland eine Tomate mit lila Pigmenten auf gentechnischem Wege (die es allerdings nicht mehr gibt).

Annemieke Hendriks schreibt: „Der Wageninger Test-Tomate hatte man zwei Gene des Löwenmäulchens eingepflanzt.“ Dadurch war sie nicht nur lila geworden, sondern – wie mit Mäusen im Expe­riment bewiesen, sie sollte auch gut gegen Krebs sein: „Eine Anti-Krebs-Tomate.“

Am Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaft der Humboldt-Universität meinte man dazu nur: „Wäre es doch bloß so einfach.“

Annemieke Hendriks ökonomisch-ökologische Recherche ist voll von merkwürdigem Tomatengeschehen. „Der Angriff der Killer-Tomaten“ ist längst Realität.