berliner szenen
: Befahl mir freundliches Auftreten

Zugegeben – ich war nicht allzu gut drauf, als ich gestern das Haus verließ. Draußen war es nass, kalt und grau. Eigentlich ein ganz gewöhnlicher Tag im Berliner Januar. Auch die Leute, die mir auf der Straße über den Weg liefen, strahlten nicht. Ihre Gesichtszüge hatten sie dem Wetter angepasst. Die Mundwinkel hingen à la Merkel nach unten. Genauso mussten auch meine aussehen, dachte ich. Aber so leicht wollte ich mich nicht geschlagen geben. Ich befahl mir ein freundliches Auftreten und begann, die Leute, die an mir vorbei­liefen, anzulächeln. Und siehe da – alle lächelten zurück.

Dass ich gleich erfahren würde, dass Freundlichkeit keine Selbstver­ständlichkeit in dieser Stadt ist, wusste ich da noch nicht. Erst betrat ich einen Drogeriemarkt am Kotti. Ich war gerade dabei, zu den Zahnbürsten zu laufen, als mich eine Frau ansprach. „Entschuldigen Sie, aber können Sie mir vielleicht weiterhelfen?“, fragte sie mit leicht beschämter Stimme. Ich bejahte ihre Frage, und sie fragte mich, ob ich zufälligerweise wüsste, wo sich hier die Müllsäcke befinden würden. Ich lief mit ihr zu dem Regal mit den Müllsäcken. „Vielen, vielen Dank“, sagte die Frau. „Das ist wirklich sehr, sehr nett.“ Ich lächelte und lief zurück zu den Zahnbürsten.

Dann betrat ich eine Bank am Kotti und lief zum Service-Automaten. „Können Sie mir vielleicht helfen?“, fragte ein älterer Mann neben mir, der gerade versuchte, einen Beleg in den Schlund des Automaten zu stecken. Ich half ihm und bekam wieder übertrieben oft ein „Danke“ zurück.

Ein paar Stunden später, wieder am Kotti, rief eine Frau nach mir, die in einem Auto saß. Ich blieb stehen. Die Frau bat mich, ihr beim Einparken in eine winzige Parklücke zu helfen. Ich half ihr und sie sagte: „Danke, das ist wirklich keine Selbstverständlichkeit hier.“

Eva Müller-Foell