Kritisches Geschichtsbewusstsein: Die Straßen der NS-Ärzte

In der Gegend um die Asklepios-Klinik in Langenhorn sind noch zahlreiche Straßen nach NS-Medizinern benannt. Ein Verein will aktuell drei umbenennen lassen.

Ein alter glatzköpfiger Mann schneidet ein Band durch das an einem Straßenschild hängt. Auf dem Schild steht "Heynemannstraße".

Kritiklos: Einweihung der Heynemannstraße in Langenhorn 1960 Foto: Archiv Willi-Bredel-Gesellschaft

HAMBURG taz | Es geht um den Oehleckerring, die Heynemannstraße und die Theodor-Fahr-Straße, alle tragen die Namen von Ärzten, die sich im Nationalsozialismus an menschenverachtenden Praktiken beteiligt haben oder von ihnen profitierten. Die Straßen sind Teil einer ganzen Reihe von Wegen im Umfeld der Asklepios Klinik Nord, die Namen von NS-belasteten Medizinern tragen. Umbenannt ist erst ein Teil von ihnen.

Die erste Umbenennung erfolgte 1996, erzählt René Senenko vom Verein Willi-Bredel-Gesellschaft. Die Geschichtswerkstatt will zur Entwicklung eines kritischen Geschichtsbewusstseins beitragen. Damals sei auch vereinbart worden, die Namen 13 weiterer Straßen zu prüfen. Doch passiert sei nicht überall etwas. Zuletzt wurden 2016 in dem Quartier die Namen zweier Straßen geändert.

Am Montag, den 29.Januar, um 18 Uhr berichtet die Sozialwissenschaftlerin Brigitta Huhnke dem Regionalausschuss der Bezirksversammlung Nord aus ihren Forschungen, die sie im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung über die NS-Mediziner durchgeführt hat. Verwaltungsgebäude des Bezirksamtes Nord in Langhorn, Tangstedter Landstraße 6, im Sitzungssaal im Erdgeschoss.

Die Geschichtswerkstatt hatte im Dezember die jüngsten Umbenennungspläne bei der Bezirksversamlung angeregt. „Das Problem ist das gleiche: Die Nazivergangenheit von Medizinern“, sagt Senenko. Es gehe bei den drei Ärzten nicht um „Bagatellen“ wie die Mitgliedschaft in der NSDAP, sondern um Verstöße gegen die medizinische Ethik in „verbrecherischem Maß“.

Franz Oehlecker war zwischen 1914 und 1946 Chefarzt der Chirurgie am Allgemeinen Krankenhaus in Barmbek und gehörte wie der Gynäkologe Theodor Heynemann zu jenen Hamburger Ärzten, die Zwangssterilisationen durchführen durften. Beide seien für Hunderte, möglicherweise Tausende Eingriffe verantwortlich, sagt Carmen Wilckens, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bezirksversammlung Nord. Sie beruft sich auf Daten der Landeszentrale für politische Bildung, die derzeit wegen einer Überarbeitung jedoch nicht online verfügbar seien.

„Zwangssterilisationen sind Verstümmelungen, die Frauen haben ihr ganzes Leben daran gelitten“, sagt sie. Zumindest Oehllecker ist außerdem für die Sterilisation von hunderten Männern verantwortlich. Gleichzeitig gilt er als Pionier der Bluttransfusion, die Ehrenmedaille der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie trägt bis heute seinen Namen.

Fast 10.000 Frauen zwangssterilisiert

Gynäkologe Heynemann beschwerte sich im Spätsommer 1936, dass die Zahl der Zuweisungen von Frauen zur Zwangssterilisation gesunken seien. In der Folge wurden wieder mehr Frauen zu ihm geschickt. Insgesamt wurden in Hamburg fast 10.000 Frauen zwangssterilisiert.

Der Pathologe Theodor Fahr habe sich zwar nicht im selben Maße schuldig gemacht, wie Oehllecker und Heynemann, sagt Wilckens. Als Chefpathologe am Eppendorfer Klinikum habe er aber an den Leichen ermordeter Häftlinge aus Konzentrationslagern geforscht und gelehrt – und gemeinsam mit Kollegen selbst Nachschub gefordert und bekommen.

Selbstmord nach Kriegsende

Während des Krieges stand er in Diensten der Wehrmacht und „forschte“ unter anderem an Kriegsgefangenen. Seine Tätigkeit sei „höchst moralisch verwerflich“ gewesen, konstatiert Wilckens. Kurz nach Kriegsende beging Fahr Selbstmord.

In der Bezirksversammlung hat die Linke gemeinsam mit FDP und Piraten einen Antrag zur Umbenennung der Straßen gestellt. Er soll in der kommenden Woche im Regionalausschuss beraten werden, bevor er erneut in der Bezirksversammlung diskutiert wird. Die soll am Ende einen Antrag an die Kulturbehörde des Senats fassen, die Straßen umzubenennen. Senenko ist zuversichtlich, dass das klappt: „Alle wissen seit 20 Jahren, dass es da Bedarf gibt.“ Allerdings sei die gleichzeitige Umbenennung von drei Straßen durchaus ein großes Vorhaben: „Ein interfraktioneller Antrag wäre die optimale Lösung.“

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