Stadtgespräch
Gabriele Lesser aus Warschau
: Warum die Polen den Showman Jurek Owsiak und seine Aktionen lieben und ihre rechte Regierung ihn nicht leiden kann

Der grüne Zeitungskiosk an der Warschauer Unabhängigkeitsallee ist tief verschneit. Mit minus 2 Grad Celsius ist es gar nicht mal so kalt, aber der Wind pfeift eisig um die Ecken. Hinter dem kleinen Fenster sitzt die sonst meist gut gelaunte Pani Basia. Doch heute stapelt sie genervt und mit rot verschwollener Nase Papiertaschentücher neben der Kasse.

Vor dem Kiosk warten gleich drei Zeitungskäufer. „Oh! Guten Morgen, Pani Halina“, begrüßt die Kioskbesitzerin die erste Kundin. „Hatte Ihr Sohn Erfolg bei der Geldsammlung für das Große Orchester der Weihnachtshilfe? Ich habe ihm 20 Zloty (rund 5 Euro) in die Sammelbüchse gesteckt.“ Die Kundin lacht und streckt Pani Basia die Hand entgegen: „Vielen herzlichen Dank. Ja, der Knirps kam ganz glücklich zurück. Am Ende hatte er 347,20 Zloty in der Büchse. Über 80 Millionen Zloty hat das Orchester dieses Jahr gesammelt.“

Ein älterer Herr mit karierter Schiebermütze und dickem grünen Wollschal mischt sich ein: „Ich habe gleich zweimal gespendet“, sagt er und deutet auf die beiden bunten Aufkleber in Herzform auf seinem Mantelrevers. „Eines Tages“, nickt er in die Runde, „kommt das alles vielleicht unseren Enkeln zugute. Eine tolle Aktion, die dieser Jurek Owsiak da auf die Beine stellt.“

Seit inzwischen 26 Jahren sammelt der 64-jährige Showman, Radio- und Fernsehjournalist Jurek Owsiak Geld für Polens Kinderkrankenhäuser und Entbindungsstationen. Vor inzwischen fast drei Jahrzehnten hatten Ärzte den Radiomacher gebeten, mit einem Aufruf Geld für eine moderne Apparatur zu sammeln, um damit herzkranke Kinder zu retten. Damit fing alles an.

Inzwischen ist die jährliche Sammel­aktion im Januar ein großes Medien­ereignis, rund 120.000 meist jugendliche Helfer und Helferinnen ziehen einen Tag lang mit bunten Sammelbüchsen durch Dörfer und Städte, im Internet finden Auktionen statt, und in einer großen Fernsehgala werden die Geschenke prominenter Musiker, Schauspieler, Sportler und Politiker höchstbietend versteigert.

„Ich verstehe nur die Regierungspolitiker nicht“, sagt ein junger Mann. „Wieso hassen sie Jurek Owsiak so? Diese Inkubatoren, Herz-Kreislauf-Maschinen und weiß der Himmel was noch – das kommt doch allen Kindern zugute, egal ob die Eltern politisch rechts oder links wählen.“ Er legt 4,50 Zloty auf die Lade und deutet auf die Gazeta Wyborcza.

„Ja, ja“, nickt Pani Basia. „Das geht schon seit Jahren so.“ Sie reicht dem jungen Mann die Zeitung. „Jetzt meinte Vizeminister Jaki sogar, dass die Weihnachtshilfe in Wirklichkeit einer Todes-Zivilisation huldige!“ Sie schüttelt den Kopf. „Okay. Jaki hat ein behindertes Kind mit Down-Syndrom. Aber nur weil Owsiak für die Liberalisierung unseres idiotisch strengen Abtreibungsrechts ist, heißt das doch nicht, dass er Leute zu einer Abtreibung zwingen würde. Jeder soll selbst entscheiden dürfen. Das ist doch richtig so!“ Die anderen nicken.

„Ja, und diese billigen Vorwürfe, dass Owsiak die Spenden nicht richtig abrechnen würde“, wirft Pani Halina ein. „Das ist eine bodenlose Frechheit. Es wird doch ständig überprüft – vom Ministerium, vom Finanzamt und wieder vom Ministerium. Sie haben nie etwas gegen ihn finden können!“ Der alte Mann zieht den grünen Schal enger um den Hals: „Owsiak ist eben kein Rechter, sondern ein Linker. Das wurmt Politiker von der „Recht und Gerechtigkeit“. Nur deshalb werfen sie ihm ständig Knüppel zwischen die Beine!“

Pani Basia schnaubt ins nächste Taschentuch: „Sogar die Armee haben sie zurückgepfiffen. Dabei war das doch gut für das Image der Soldaten, dass sie beim Großen Orchester der Weihnachtshilfe mithalfen.“ Der junge Mann, der die Zeitung schon eingesteckt hat, wendet sich noch einmal an alle: „Aber je mehr Hass auf Owsiak niederprasselt, desto mehr spenden die Polen. Das ist doch toll.“ Pani Halina winkt ihm zu: „Auf nächstes Jahr! Da machen wir alle wieder mit!“