Der Diktator liegt am Boden

„Der rote Gott – Stalin und die Deutschen“ – eine Ausstellung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen zum Kult um Josef Stalin und den in der DDR bis zu ihrem Ende 1989 nie aufgearbeiteten Stalinismus

Stalinisten in Uniform: Friedensmarsch zu den Weltfest­spielen der Jugend, 1951 Foto: Slub/Deutsche Fotothek

Von Annika Glunz

Bereits beim Betreten der Ausstellung wird deutlich spürbar, mit wem man es hier zu tun bekommen wird: Das Porträt in einem rundum grellrot ausgeleuchteten Raum mutet an wie das Bild einer Ikone. Der animierte und in diversen Aufzügen und Details changierende Stalin entfaltet seine Wirkung. Wagt man es, sich ihm zu nähern, so erfährt man, dass es sich hierbei tatsächlich um sein einziges Porträt handelt, das zu Lebzeiten nur immer wieder aufs Neue retuschiert wurde.

Kurator Andreas Engwert bestückte die Schau auf dem Gelände der ehemaligen sowjetischen Haftanstalt und späteren Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen mit Material, das größtenteils aus der eigenen Sammlung der Gedenkstätte stammt: Zeitungsseiten, Briefe, Pamphlete, Bild-, Ton- und Videoaufnahmen.

Grellrot geht es weiter. BesucherInnen erfahren etwas über Stalins Biografie und können parallel anhand historischer Bild- und Audiofragmente dessen propagandistische Strategien nachvollziehen. So wurde die Frühzeit der DDR beispielsweise als „Zeit des Aufbruchs“ mythologisiert; es ging um eine „antifaschistisch-demokratische Umwälzung“. 1942 bereits sprach Stalin den Satz: „Die Hitlers kommen und gehen, das deutsche Volk, der deutsche Staat aber bleibt.“ Viele Menschen witterten Hoffnung in dieser Aussage. In der DDR gab es regelrechte Jubelparaden und Massenaufmärsche, und jede FDJ- oder SED-Gruppe führte kultähnliche Veranstaltungen durch. Die obligatorische Stalin-Ecke, in der zu Ehren des Diktators oder auch des „größten Freundes des deutschen Volkes“ Gedichte vorgetragen und Lieder gesungen wurden, durfte in keinem Betrieb fehlen.

Im nächsten Raum wechselt die grellrote Ausleuchtung zu Schwarz, und es offenbaren sich Dokumente von Unterdrückung und Verfolgung. Während die Menschen sich in kollektiver Begeisterung zu ereifern schienen, baute Stalin sein Kontrollregime weiter aus – parallel schien auch die Rigorosität seines Vorgehens gegenüber politischen Gegnern zuzunehmen. Zuweilen nahmen diese „Säuberungen“ absurde bis skurrile, in jedem Fall rational nicht nachvollziehbare Züge an.

So wird das Beispiel des Autors und SED-Mitglieds Paul Merker aufgeführt. In seinen Schriften hatte er Stalin gehuldigt, er wurde aber dennoch Opfer einer Parteisäuberung und in deren Folge in Hohenschönhausen inhaftiert. Begründung: Er sei Teil einer zionistischen Agentenverschwörung, die „zugunsten amerikanischer und jüdischer Monokapitalisten“ handeln würde. Ein ähnlich irrationales Vorgehen schien der Verhaftung ehemaliger Mitglieder des Nationalkomitees Freies Deutschland zugrunde zu liegen. Da über diese Tatsachen in der Ausstellung jedoch nur fragmentarisch aufgeklärt wird, bleibt den BesucherInnen der große Zusammenhang oftmals verwehrt, beziehungsweise er eröffnet sich nur mit entsprechendem Vorwissen.

Die obligatorische Stalin-Ecke durfte in keinem Betrieb fehlen

Bis zu diesem Punkt könnte man den Eindruck gewinnen, die Deutschen hätten nach der Erfahrung der NS-Diktatur nichts dazugelernt und sich blindlings in die Glorifizierung des nächsten Diktators gestürzt. So einfach lässt sich die Situation bei Weitem nicht erklären. Vielerorts regte sich Widerstand gegen das politische Vorgehen der DDR-Führung. Im ersten großen Volksaufstand in der DDR gegen die geplanten Erhöhungen der Arbeitsnormen am 17. Juni 1953 schienen diese widerständigen Stimmungen zu kulminieren. Zu diesem Zeitpunkt war Stalin bereits tot.

Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, und im selben Maße, wie sich die Verfolgung politischer Gegner in der Folge intensivierte, verstärkte sich auch der Kult um Stalin. Eisenhüttenstadt wurde in „Stalinstadt“ umbenannt, und an diversen Plätzen entstanden aus „freiwilligen Spenden“ neue Stalin-Denkmäler. Ihre klammheimliche Demontierung fand erst sieben Jahre später statt, als in der Sowjetunion schon längst die Entstalinisierung eingeleitet worden war. Der Stalinismus schien in der DDR bis zu ihrem Ende 1989 nie aufgearbeitet worden zu sein.

Apropos Statue: Ein gänzlich vorhandenes Objekt findet sich auf dem Ausstellungsgelände – eingeflogen aus Ulan-Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Den Abguss von Nikolai Tomskis Stalin-Statue hatte dort zuletzt ein Privatinvestor erworben, der ihn zur Dekoration in einer Diskothek benutzte. Nachdem er kurz noch einmal in der ehemaligen Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) für Fotoaufnahmen aufgestellt worden war, liegt er jetzt im Hof der Gedenkstätte, genau zwischen den Ausstellungsräumen und den Zellen der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt, in denen Gefangene gefoltert wurden. Er liegt mit voller Absicht – man möchte nicht in aufrechter Position an den Massenmörder erinnern.

Bis 30. Juni, täglich von 9 bis 18 Uhr