Ey, mach’ keine Filme, Mann!

Der Hamburger Regisseur Özgür Yildirim inszeniert in seinem neuen Film „Nur Gott kann mich richten“ eine blutige Schlacht, bei der es kein Gut und Böse mehr gibt

Seniler Tyrann: Ricky (Moritz Bleibtreu) muss sich um seinen Vater (Peter Simonischek) kümmern Foto: Matthias Bolliger/Constantin Film Verleih

Von Morticia Zschiesche

Die Sonne scheint hell auf die eisernen Türen der Strafvollzugsanstalt, als Ricky (Moritz Bleibtreu) nach fünf Jahren aus dem Knast kommt. Dort hat er für seinen Kumpel Latif (Kida Khodr Ramadan) und seinen Halbbruder Rafael (Edin Hasanovic) nach einem misslungenen Raubüberfall eingesessen. Doch auch in Freiheit wird er in der nächsten Zeit die Sonne kaum sehen. Dafür sorgt ein düsteres Szenario mit atemlosem Erzähltempo, das der Hamburger Regisseur und Drehbuchautor Özgür Yildirim in seinem neuen Film „Nur Gott kann mich richten“ für ihn bereithält.

Im Kampf von Kurden, Albanern und Libanesen um die Vorherrschaft im Frankfurter Bahnhofsviertel gibt es schon längst keine Kiez-Idylle mehr, die man zeigen könnte. Es sind keine innigen Männerbünde, wie Martin Scorsese sie nicht müde wurde zu inszenieren. Im Kiez von heute, wie ihn Yildirim erzählt, ist jeder auf seinem Egotrip, ob Gangster oder Polizist, ob Mann oder Frau. Es gibt keine Ehre oder moralische Instanzen. Gebetet wird zu Gott, ohne ihn dabei zu finden. Es wird geprügelt und geschossen, im Slang geflucht und gespuckt – „Ey, mach’ keine Filme, Mann“ – bis endlich Ruhe ist.

Gedreht wurde in Frankfurt, Offenbach, Rüsselsheim und nur in den letzten Drehtagen auf der Hamburger Reeperbahn im Boxkeller des Reeperbahnlokals „Zur Ritze“ – ein Kunstgriff. Man habe authentische Orte gesucht, die ihn an sein Heimatviertel Sankt Georg in den 1980er Jahren erinnern, erklärt Moritz Bleibtreu, der hier auch zum ersten Mal als Produzent agiert.

In diese klischeehafte Welt der schummrigen Hinterhöfe, billigen Table-Dance-Bars und schweißnassen Boxkeller kehrt Ricky nach seiner Entlassung zurück, um ein vermeintlich letztes sicheres Ding zu drehen. Was ihm dabei Antrieb gibt, erklärt sich bei seinen Besuchen beim dementen und verwahrlosten Vater (Peter Simonischek). In einer niedrigen anonymen Hochhauswohnung, umrahmt von schwerer Holztäfelung, wälzt sich der alte Mann in seinen spärlichen Erinnerungen, die sich bei den Müttern seiner beiden Kinder nur noch auf ihren Unterleib beschränken.

Neben dem permanenten Scheitern verbindet die Suche nach Geld alle Figuren, die dafür von einer Panne in die nächste rasen. Ricky braucht es, um mit einem ehemaligen Mithäftling eine Bar auf der Mittelmeer-Insel Cabrera aufzumachen. Latif braucht Kohle, weil ihn nervt, dass sein Lokal weniger Shisha-Bar als Wärmestube für den Kiez ist. Und der eigentlich geläuterte Rafael will mit seiner schwangeren Freundin, der Pool-Tänzerin Elena (Franziska Wulf), eine Ballettschule kaufen.

Als Latif ausfällt, lässt sich Rafael überreden, als zweiter Mann beim vorgetäuschten Überfall auf den Boxclub-Chef Branko (Cem Öztabakci) einzuspringen. Natürlich geht auch dieser Deal um 2,5 Kilo Heroin schief. Denn sie treffen auf die Streifenpolizistin Diana Dunker (Birgit Minichmayr), die bei einer Routinekontrolle das Fluchtauto kontrolliert. Das Kreuzen der Wege führt zu einer Abwärtsspirale, bei der sich Gut und Böse immer mehr verwischen. Die blutigen Spuren, die jede einzelne der Figuren hinterlässt, enden in einem großen Gemetzel, nach dem die Protagonisten wohl keinen Gott mehr sehen werden.

Kein Sympathieträger

Bemerkenswerterweise gelingt es dem Regisseur, jeden möglichen Sympathieträger durch eruptive Gewaltausbrüche, unkalkulierbare Alleingänge und Verrat zu dekonstruieren. Selbst die Frauen, hier oft inszeniert bei Tageslicht in hellen Wohnungen und sauberen Tanzsälen, sind weniger eine Brücke in die bürgerliche Welt, als dass sie das Verbrechen noch antreiben. In Entsprechung zu ihrer Ambivalenz verschont Yildirim auch sie nicht, wenn er sie malträtieren oder brutal niederschießen lässt.

Trotz oder vielleicht genau wegen dieser sich immer weiter steigernden Gewaltexzesse berührt der Film nicht sonderlich. An manchen Stellen wirken die Figuren platt, die Handlung unglaubwürdig. Trotzdem ist es kein schlechter Film geworden. Das liegt zum einen an den bis in die kleinste Nebenrolle überzeugenden Schauspielern. Zum anderen schafft die von Peter Hinderthür komponierte Musik eine Stimmung, ohne dafür permanent Hip-Hop abfeuern zu müssen. Dass sich die Rap-Szene trotzdem angesprochen fühlt, dafür sorgt neben den Cameo-Auftritten von Xatar und SSIO als Drogendealer vor allem der eingängige Titelsong von Samy, Gringo 44 und Xatar.

Messen lassen muss sich der 2009 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Regisseur Özgür Yildirim nicht nur an seinem damaligen Film „Chiko“, sondern vor allem an aktuellen Produktionen, die das Motiv des Scheiterns von Kleinganoven im Gangsterfilm überraschend neu erfinden wie etwa der Film „Good Time“ von den Safdie-Brüdern oder die sympathische Martial-Arts Komödie „Plan B – Scheiß auf Plan A“ von Ufuk Genc.

Yildirim wollte einen Film machen, in dem sich auch Menschen wiederfinden, die „zufällig keine Gangster sind“. Das ist ihm nur zum Teil gelungen – der ganz große Deal ist es nicht geworden.