Schöpfer und Schweinehund

Die antisemitschen Pamphlete des Autors Louis-Ferdinand Céline werden womöglich bald wieder gedruckt

Von Rudolf Walther

Louis Ferdinand Auguste Destouches (1894–1961), der sich als Schriftsteller Céline nannte, hat seinen Ruf als „poète maudit“ („verfluchter Dichter“) verdient. Als auf Hygiene und Seuchenmedizin spezialisierter Arzt arbeitete der Franzose in England, Kuba, Afrika und in den USA. Zwischen 1928 und 1932 entstand der Roman „Reise ans Ende der Nacht“, der eine sehr große Auflage erzielte, allein in Frankreich 112.000 Exemplare. Trotz seines formalen Bruchs mit der Tradition fand der Antikriegsroman begeisterte Kritiker und trug ihm den Prix Goncourt ein. Schnell galt Céline als Sprachvirtuose und Vater der französischen Literatur-Avantgarde.

Noch vor Kriegsbeginn erschienen 1936–1938 drei wüst-geifernde Pamphlete Célines gegen den Kommunismus und die Juden mit dem programmatischen Bekenntnis: „Ich bin Antisemit geworden und nicht ein wenig zum Spaß, sondern zwangsläufig mit Haut und Haaren.“ 1941 folgte „Les beaux draps“. 1951 verfügte Céline, dass diese Pamphlete nicht mehr gedruckt werden sollten. Seine Witwe Lucette Destouches hielt sich an diese Verfügung wie der Verlag Gallimard. Doch im Dezember 2017 kündigte dieser an, die vier Pamphlete mit der Zustimmung der Witwe und einem Vorwort von Pierre Assouline unter dem alles beschönigenden Titel „Écrits polémiques“ in einer kommentierten Ausgabe doch wieder aufzulegen. Den Kommentar des Literaturwissenschaftlers Régis Tettamanzi wollte Gallimard aus der kanadischen Ausgabe von 2012 übernehmen. Dieses Vorhaben geriet sofort unter Beschuss, auch wegen des kanadischen Verlegers, der sich zum Front National bekennt.

Eine Vereinigung von Nachkommen deportierter und ermordeter französischer Juden, deren Vorsitzender Serge Klarsfeld ist, protestierte gegen Gallimards Projekt, denn Célines vier Pamphlete erfüllen zweifellos den Straftatbestand „Aufruf zum Rassenhass“. Am 11. Januar kündigte Antoine Gallimard an: „Im Namen meiner Entscheidungsfreiheit als Verleger und meines Geschichtsbewusstseins suspendiere ich das Publikationsvorhaben.“

Die Entscheidung löste ein gespaltenes Echo aus, vor allem weil sich Gallimard nach rechts verneigte: „Wenn ich Serge Klarsfeld gegen mich habe, kann ich nichts machen.“ (Le Monde 13. 1. 2018). Das hört sich an wie eine Kapitulation vor einem prominenten Advokaten jüdischer Interessen. Zu diesem (falschen) Eindruck trug bei, dass sich der Premierminister Édouard Phi­lippe in die Debatte einmischte: „Ich habe keine Angst vor der Publikation dieser Pamphlete, aber sie muss sorgfältig kommentiert werden.“

Ethik versus Ästhetik

Unter Literaturwissenschaftlern und Historikern wärmte der Fall eine alte Kontroverse auf zwischen jenen, die für die uneingeschränkte Freiheit künstlerischer Gestaltung eintreten, und jenen, die Künstler auf ihre ethisch-politische Verantwortung für ihre Werke festlegen. Da viele Literaturwissenschaftler darauf bestehen, dass der avantgardistische Romanautor Céline nicht getrennt werden könne vom Pamphletisten, weil er sich in beiden Text­sorten formal-ästhetisch gleicher Mittel bediene und weil das Spiel mit den Rollen von Autor, Erzähler und realer Person die Literatur untrennbar mit dem Leben des Autors verklammere, bleibt richtig: „Es gibt keine ‚zwei‘ Céline; es gibt nur die Komplexität des Autors, die uns daran erinnert, dass das Genie nicht mechanisch das Gegenteil des Schlimmsten ist und dass man gleichzeitig der unentschuldbarste unter den Schweinehunden sein kann und die schöpferischste Kraft seiner Zeit“ (Yann Moix).

Doch der Freispruch Célines mit ästhetischen Argumenten geht so weit, dass Literaturwissenschaftler den gelungenen Roman von 1932 als vorgezogenes Dementi der antisemitischen Pamphlete verklären! Solchen Rettungsversuchen des „hassenden, rasenden, delirierenden Céline“ (Lothar Baier) gegenüber verweist der Historiker Zeev Sternhell auf historische Befunde: Céline war Teil „der faschistischen Rechten“, und man verschafft dieser einen Legitimationsschub, wenn ein angesehener Verlag dessen Texte ohne kompetente historische Einführung publiziert, die darlegt, was der Antisemitismus im 20. Jahrhundert anrichtete.