Der
Feind
steht
links

Die Polizei in Göttingen hat jahrelang vermutlich illegal Akten über Menschen aus der linken Szene geführt. Um in einer solchen Akte zu landen, reichte oft schon die Teilnahme an einer Demonstration. Mehrere Betroffene haben nun gegen diese Praxis geklagt schwerpunkt 43–45

Die Zielgruppe der Überwachungsmaßnahmen, versammelt auf engstem Raum: Göttingens linke Szene samt Antifa zieht hier durch die Altstadt, um gegen marodierende Neonazis zu protestieren Foto: Swen Pförtner/dpa

Von André Zuschlag

In rechtlicher Hinsicht sei dieser Tag ein guter Tag gewesen, im Sinne der Aufklärung eher ein schlechter, sagte der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam am vergangenen Freitag, nach dem ersten Termin mit seinen Mandanten beim Göttinger Verwaltungsgericht. Das Gericht hatte erkennen lassen, dass es die Überwachung von Adams Mandanten durch den Göttinger Staatsschutz kritisch sieht. Nur wird das wohl nicht viel nützen.

Im vergangenen Sommer war herausgekommen, dass der Staatsschutz über mindestens ein Jahrzehnt hinweg Daten über Aktivist*innen in Göttingens linker Szene gesammelt hatte. Fotos von Betroffenen hingen an den Pinnwänden in der Polizeidirektion, es wurde fleißig notiert, wer wann und wo einkaufen geht – manche beim Rewe! – und an welchen öffentlichen Veranstaltungen sie teilgenommen haben. Die rechtliche Grundlage dafür? Es gibt keine. 25 Betroffene, bei denen klar ist, dass über sie Daten gesammelt wurden, klagen deshalb auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenerhebung und umfängliche Akteneinsicht.

Offensichtlich wollte sich der Staatsschutz einen tiefen Einblick in die linke Szene verschaffen und pfiff deswegen auf die Rechte der Betroffenen. Aus Sicht des Staatsschutzes handelte es sich bei ihnen wohl um gefährliche Personen. Aber so, wie es aussieht, reichte es schon, um observiert zu werden, wenn man mal eine Demo angemeldet oder vielleicht an einer Sitzblockade gegen Nazis teilgenommen hatte. Dass das ein schlechter Witz ist, schien auch Göttingens Polizeipräsident Uwe Lührig bemerkt zu haben. Er versprach, kaum war der Skandal bekannt geworden, eine „rückhaltlose Aufklärung“. Doch davon ist nicht viel zu halten.

So sollen alle Aktenordner, die der Staatsschutz angelegt hatte, bereits vernichtet worden sein. Stimmt das, dann stellt sich die Frage, wie überhaupt aufgeklärt werden soll, wen die Behörde im Visier hatte und was sie über ihn herausgefunden hat, wenn die entscheidenden Akten nicht mehr existieren.

Dass immerhin 25 Personen wissen, dass über sie Akten geführt wurden, ist wiederum wohl völlig unfreiwillig der Göttinger Polizei selbst zu verdanken

Dass immerhin 25 Personen wissen, dass über sie Akten geführt wurden, ist wiederum wohl völlig unfreiwillig der Göttinger Polizei selbst zu verdanken. Sie hatte gegen einen mittlerweile pensionierten Staatsschutzbeamten Ermittlungen wegen versuchter Erpressung aufgenommen. Er jedoch war offensichtlich über Jahre hinweg der Einzige, der gegen die illegale Schnüffelei intern protestierte – ohne Erfolg. Deshalb fertigte er Kopien von Teilen der Akten an, die wiederum erst durch die Ermittlungen gegen ihn öffentlich wurden.

So wird es wohl damit enden, dass die 25 Betroffenen vor dem Verwaltungsgericht zwar Recht bekommen werden, aber Konsequenzen für die Göttinger Polizei und ihr Staatsschutz-Kommissariat sind nicht zu erwarten.

Und ob nun auch wirklich alle Daten gelöscht wurden, kann zumindest im Hinblick auf die jüngere Geschichte der Göttinger Polizei bezweifelt werden. Schon einmal sammelte sie fleißig Daten über Linke und behauptete dann, sie gelöscht zu haben – wenige Jahre später tauchten die Daten dann plötzlich wieder auf.