Polens Premier empört mit Holocaust-Äußerung

Regierungschef Morawiecki spricht von „jüdischen Tätern“. Juden in Israel und den USA sind aufgebracht und fordern Entschuldigung

Premier Morawiecki (Mitte) am Holocaust-Gedenktag im Januar im Todeslager Auschwitz-Birkenau. Am selben Tag wurde das umstrittene Holocaust­gesetz wieder hervorgeholt Foto: Czarek Sokolowski/ap

Aus Warschau Gabriele Lesser

Polens Premier hat es am Wochenende geschafft, mit nur einem Satz weltweit Empörung auszulösen: Am Holocaust hätten sich neben Deutschen auch „jüdische Täter“ beteiligt, zudem polnische, russische und ukrainische Täter, sagte der studierte Historiker Mateusz Morawiecki am Samstag am Rande der Sicherheitskonferenz in München. Der Völkermord an sechs Millionen europäischen Juden soll auch von Juden selbst begangen worden sein?

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der ebenfalls an der Sicherheitskonferenz teilnahm, verurteilte Morawieckis Satz als „abscheulich“. Er warf ihm „Unfähigkeit, Geschichte zu verstehen“, vor sowie „ein mangelndes Gefühl für die Tragödie unseres Volkes“. Netanjahu kündigte an, „unverzüglich“ mit seinem Amtskollegen über dessen Äußerung sprechen zu wollen. In Israel wurden Forderungen laut, die bilateralen Beziehungen zu Polen herabzustufen und die Botschafterin Anna Azari aus Warschau abzuberufen.

Morawieckis Satz war die Antwort auf eine Frage des israelischen Journalisten Ronen Bergman nach den Auswirkungen des Gesetzes zum „Schutz des guten Rufes Polens“, umgangssprachlich: „Holocaustgesetz“. Der Gesetzentwurf war bereits 2016 scharf von Historikern der Schoah-Gedenkstätte Jad Vaschem in Jerusalem kritisiert worden. Für zwei Jahre hörte man nichts mehr davon. Doch nun fand die zweite Lesung ohne große Ankündigung ausgerechnet am Vortag des diesjährigen Internationalen Holocaust-Gedenktags statt. Trotz erneuter scharfer Proteste aus Israel und den USA unterzeichnete Polens Präsident das Gesetz.

Es sieht Geldbußen sowie Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren für Journalisten und Zeitzeugen vor, die Polen als Volk oder Staat vorwerfen, am Holocaust und ähnlichen Verbrechen schuld zu sein oder mit den Nazis kollaboriert zu haben. Ausdrücklich ausgenommen davon sind laut Gesetz lediglich Historiker und Künstler. Obwohl das Gesetz angeblich verhindern soll, dass ausländische Journalisten über „polnische Konzentrationslager“ schreiben, wenn sie eigentlich NS-Lager im deutsch besetzten Polen meinen, kommt dieses Verbot im Gesetzestext gar nicht vor.

Bergman, der als Israel-Korrespondent für die New York Times schreibt, fragte den polnischen Premier, ob er sich als Journalist durch das neue Holocaustgesetz in Polen strafbar machen würde, wenn er die Geschichte seiner in Polen geborenen Mutter erzählen würde. Sie habe im Zweiten Weltkrieg viele Familienmitglieder verloren, weil polnische Nachbarn sie an die Nazis verrieten. Polens Regierungschef antwortete: „Natürlich wird das nicht strafbar sein, nicht als kriminell angesehen werden, wenn man sagt, dass es polnische Täter gab, so wie es jüdische Täter, russische, ukrainische und nicht nur deutsche Täter gab“.

In New York verurteilte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Ronald Lauder die „absurde und gewissenlose Äußerung“, die dem Versuch der Geschichtsfälschung gleichkomme. Lauder forderte eine Rücknahme der Bemerkung und eine Entschuldigung bei allen Juden.

In Polen hingegen versuchte eine Sprecherin Morawieckis, die Affäre runterzuspielen. Der Premier habe weder den Holocaust leugnen noch den jüdischen Opfern „irgendeine Verantwortung“ zuschieben wollen. Der Satz des Premiers müsse als „ein Appell für eine offene Debatte“ über die Verbrechen an den Juden in der NS-Zeit verstanden werden.

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