Russe oder Deutscher?

Bei einem rassistischen Anschlag in Heilbronn agieren Polizei und Staatsanwaltschaft zweifelhaft

Wird bei Behörden mit einem anderen Maß gemessen, wenn Flüchtlinge nicht Täter, sondern Opfer sind? Diese Frage stellt sich derzeit mancher in Heilbronn.

Dort hatte am Samstagabend ein 70-Jähriger drei Flüchtlinge in der Innenstadt mit einem großen Messer attackiert. Ein 17-jähriger Afghane wurde schwer verletzt; ein 19-jähriger Syrer und ein 25-jähriger Iraker erlitten leichte Verletzungen. Schlimmeres konnte offenbar nur verhindert werden, weil Passanten den Angreifer überwältigten. Die Polizei nahm den Mann fest, ließ ihn aber später wieder laufen. Nach dem Stand der Ermittlungen hatten er und die drei Verletzten sich nicht gekannt. Auch über einen Streit im Vorfeld ist nichts bekannt. Also offenbar ein rassistischer Anschlag: Als Motiv hatte der Mann in einer ersten Vernehmung die Flüchtlingspolitik genannt.

Der Vorfall und vor allem der Umgang damit sorgen nun für Diskussionen weit über Heilbronn hinaus. Auf Unverständnis stieß die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, den mutmaßlichen Täter nicht in Haft zu behalten. Laut der Behörde lägen keine Haftgründe wie eine Flucht- oder Wiederholungsgefahr vor. Zudem steht die Kommunikation von Polizei und Staatsanwaltschaft in der Kritik. Beide hatten in einer ersten Pressemitteilung die Herkunft des Täters als „russisch“ bezeichnet. Erst auf Pressenachfragen gaben sie bekannt, er habe auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Dieses Verhalten kritisierte der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer: „Wenn die Polizei etwas herausgibt, dann muss es auch stimmen.“ Die negative Wirkung von Falschmeldungen sei enorm. Auch die Bewertung der Tat in der Mitteilung als „Zeichen gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik“ stieß bundesweit auf Widerspruch. In der Heilbronner Stimme wurde das Motiv beim Namen genannt: „Fremdenhass“.

Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD) hatte sich nach der Tat bestürzt geäußert. Am Freitagabend ruft das örtliche „Netzwerk gegen Rassismus“ zu einer Mahnwache in der Stadt auf. Benno Stieber