Deutsche Wirtschaft und Außenpolitik: Katzbuckeln vor Peking

Im Namen der „Gefühle des Volkes“ beschneidet China zunehmend Freiheiten. Das geht, weil Unternehmen wie Mercedes-Benz sich unterwerfen.

eine Katze macht vor rotem Hintergrund einen Buckel

So verhalten sich deutsche Wirtschaft und Politik gegenüber China Foto: Imago/Imagebroker

In einem der größten sozialen Netzwerke Chinas hat sich der deutsche Autobauer Mercedes-Benz vor wenigen Tagen dafür entschuldigt, „die Gefühle des chinesischen Volkes“ verletzt zu haben. Der Fall hat einiges Aufsehen erregt, ist aber nur der jüngste in einer ganzen Reihe, in denen sich internationale Konzerne dem Vorwurf ausgesetzt sahen, gegen nationale Empfindungen in China verstoßen zu haben. Auslöser war jetzt eine Werbebotschaft auf Instagram: Neben dem Foto einer Mercedes-Limousine war da ein Sinnspruch des Dalai Lama zu lesen: „Betrachte eine Situation von allen Seiten, und du wirst offener werden.“

Zwar ist der Zugang zu Instagram für Internetnutzer in der Volksrepublik schon seit 2014 gesperrt, und VPN-Tunnel – Software, mit denen man Instagram-Seiten von China aus aufrufen könnte – werden ebenfalls behindert. Trotzdem ist es chinesischen Internetnutzern gelungen, eine Welle der Empörung auszulösen. Diese Werbebotschaft, hieß es, legitimiere den in China offiziell verachteten geistlichen Führer der Tibeter, der seit 1959 im Exil lebt.

Die chinesische Regierung bezeichnet den Dalai Lama regelmäßig als „Spalter“ und wirft ihm vor, er betreibe die Unabhängigkeit Tibets von der Volksrepublik. Die Firma entschuldigte sich am 6. Februar auf der Mercedes-Benz-Seite des chinesichen Dienstes Weibo: „Obwohl wir unser Möglichstes getan haben, diese Information umgehend zu löschen, ist uns zutiefst bewusst, dass dieser Vorfall die Gefühle des (chinesischen) Volkes verletzt hat, einschließlich der Gefühle der Kollegen, die in unserer Firma in China arbeiten, und dafür bitten wir aufrichtig um Entschuldigung.“

Am Tag darauf ließ das chinesische Außenministerium in herablassendem Tonfall wissen, „Fehler einzusehen und zu korrigieren“ sei das „fundamentale Prinzip anständigen Betragens“. In kaum verhüllter Drohung erklärte der Sprecher, „in der neuen Ära“ werde China selbstsicherer sein – und hoffe daher, dass ausländische Unternehmen sich dementsprechend „anpassen“. Offenbar als Reaktion darauf übermittelte der Autokonzern Daimler, Mutterfirma von Mercedes-Benz, am Mittwoch dann noch einen Entschuldigungsbrief an den chinesischen Botschafter in Deutschland.

Autoritäre Politik wendet sich verstärkt nach außen

Wenn wir dem Vorschlag des Dalai Lama aber folgen und diese Situation aus allen Blickwinkeln betrachten – was sollen wir dann von dieser Welle chinesischer Empörung über ein offenkundig harmloses Zitat halten? Erstens zeigt sich, dass sich Chinas nach innen gerichtete autoritäre Politik verstärkt auch nach außen wendet. Die chinesische Regierung pocht seit einigen Jahren auf ihrer Vorstellung von „Cyber-Souveränität“.

Sie begründet dies damit, dass alle souveränen Nationen ein Recht hätten, das Internet so zu kontrollieren, wie sie es für richtig halten. Aber Fälle wie die jüngste Mercedes-Benz-Affaire – ausgelöst durch einen Post im Internet, den chinesische Nutzer gar nicht sehen dürfen – sind Warnzeichen. Sie weisen darauf hin, dass China es zunehmend schafft, Regierungen, Unternehmen und Individuen einzuschüchtern. Damit schrumpft der Spielraum für die Meinungsfreiheit auch global.

Die jüngsten Fälle zeigen, dass China es schafft, Regierungen, Konzerne und Individuen einzuschüchtern

Zweitens steckt hinter den Worten, mit denen sich Mercedes-Benz entschuldigt hat, mehr als nur das Eingeständnis, dass man kulturell angeeckt sei. Indem sie die Formulierung „Gefühle des chinesischen Volkes verletzt“ verwendet, akzeptiert die Firma vielmehr eine sehr konkrete politische Agenda Pekings. Der Satz „die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt“ hat eine lange Geschichte innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas. Er erschien erstmals 1959 auf den Seiten des Parteiorgans Volkszeitung. Damals ging es um einen Grenzkonflikt zwischen China und Indien.

Seither dient er immer wieder dazu, den Unmut der Regierenden deutlich zu machen. 1978 war es Albanien, das die „Gefühle des chinesischen Volkes“ durch seinen diplomatischen Bruch mit Peking verletzt hatte. Albanien, vermerkte die Volkszeitung damals, habe brutal „Mao Zedong angegriffen, den großen Führer des chinesischen Volkes und der KP Chinas“. In jüngerer Zeit, etwa im Januar 2016, äußerte der schwedische Menschenrechtler Peter Dahlin diesen Satz in einem offensichtlich erzwungenen Geständnis, das im chinesischen Staatsfernsehen ausgestrahlt wurde.

Der Satz „die Gefühle des chinesischen Volkes werden verletzt“ spiegelt allerdings keineswegs einen echten, in der chinesischen Bevölkerung verbreiteten Unmut wider. Im Jahr 2015, nachdem die Philippinen Chinas Politiker verärgert hatten, beschrieb ein chinesischer Autor das Wesen dieser „Gefühle“ so: „Die Gefühle des chinesischen Volkes sind die merkwürdigsten Dinge auf der Welt. Wenn wir Chinesen wirklich erzürnt sind, dann interessiert sich die Regierung nicht für unseren Kummer. Die Nerven, die unsere Gefühle regieren, verlaufen zwar durch die Körper der Chinesen – aber sie werden unter den Fingern derjenigen, die an der Macht sind, zusammengequetscht.“

Wie soll der Rest der Welt reagieren?

Schließlich bleibt noch die Schlüsselfrage: Wie sollten wir im Rest der Welt auf die Politik der tausend Schnitte reagieren, mit denen die chinesische Regierung auch unsere Freiheiten bedroht? Wir müssen uns darauf besinnen, dass auch wir Bürger und Konsumenten sind – und bereit sein, unsere Regierungen und Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, wenn es darum geht, unsere fundamentalen Werte zu schützen.

In dem Maße, wie die chinesische Regierung sich der Welt mit wachsender „Selbstsicherheit“ zuwendet, muss sie anderen Meinungen jenen Respekt zeigen, den sie außenpolitisch stets auch von anderen fordert. Und sie muss weniger empfindlich auf unwichtige Dinge reagieren, wie es Sinnsprüche auf Instagram sind. Wir hingegen sollten vielleicht viel empfindlicher darauf reagieren, wenn die chinesische Regierung uns daran hindert, nach unseren Ideen und Glaubenssätzen zu leben – und unser Recht beschneidet, sie zu äußern.

Übersetzung: Jutta Lietsch

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ist Ko-Direktor des Hongkonger China Media Project. Derzeit lebt er als Richard-von-Weizsäcker-Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin. Er ist Vorstandsmitglied von PEN Hong Kong, einer bilingualen Schriftstellergesellschaft, die sich für die Förderung der Meinungsfreiheit in Hongkong einsetzt.

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