Korrekt und ausgewogen

Die Formelhaftigkeit der Oscar-Verleihung sterilisierte symbolpolitische Interventionen nach #MeToo durch zu viel Narzissmus

Frances McDormand mit einem spontanen Appell Foto: Chris Pizello/ap

Von Barbara Schweizerhof

Hinterher fragt man sich, ob es Analysen über die Bedeutung der Oscars und die Verdienste der Filme wert waren und darüber, was ein Oscar für „The Shape of Water“ im Gegensatz zu einem für „The Darkest Hour“ heißen würde. Retrospektiv fühlt sich die 90. Oscar-Vergabe enttäuschend an, nicht etwa wegen falscher Erwartungen. Im Gegenteil, ihnen wurde punktgenau entsprochen.

Zum Auftakt seufzte Moderator Jimmy Kimmel bei Aufnahmen des „Black Panther“-Darstellers Chadwick Boseman, wie toll ein Land unter schwarzer Führung wäre und witzelte über Weinstein, der „rausgevotet“ wurde aus der Academy. Auch über den Fauxpas 2017 mit den falschen Umschlägen wurden Scherze gemacht von einem „nicht LaLaLand-Sagen“ murmelnden Mark Hamill bis zu Guillermo del Toro, der sich den Umschlag zeigen ließ, um sicher zu gehen, dass sein Film, „Shape of Water“, wirklich gekrönt wurde. Über die Nabelschau der Insider-Jokes hinaus gab es Bekenntnisse zum Bleiberecht von Immigranten, zu mehr Gleichberechtigung, Solidarität mit #MeToo und #TimesUp und #NeverAgain – und einem speziellen Dank an Mexiko und sein kulturelles Erbe. In Worte gefasst vom Regisseur Lee Unkrich, der im Oscar-Preisträger „Coco“ ebenjenes Erbe so wirkmächtig in die „Kinder und Erwachsene auf der ganzen Welt“berührende Pixar-Formel übersetzt hat. Für einen Affront im konservativen Chile sorgte der Auslands-Oscar für „Una mujer fantástica“, in dem sich eine Transgender-Frau gegen die Ignoranz der chilenischen Gesellschaft auflehnt.

Aber es gehört zur Krux der Symbolik, dass im Akt der Inszenierung etwas Nichtintendiertes passiert. Die abgelesenen Sympathiebekundungen zu den „Dreamers“, die Auswahl der Präsentatoren, bei denen Schauspieler mit nichtweißem Hintergrund zum Einsatz kamen, und die demonstrative Begrüßung für einen Auftritt im Bühnenhintergrund von „wichtigen Aktivisten“: erschreckend zu beobachten, wie die Oscar-Verleihung mit ihrem Branchennarzissmus die politischen Inhalte sterilisiert. Und es brauchte unbedingt den spontanen Aufruf von Frances McDormand, die bei ihrer Dankesrede zur Wahl als beste Darstellerin sämtliche nominierten Frauen im Saal aufstehen ließ, um dem Botschaftsgetue Leben einzuhauchen. McDormand schloss ihre Rede mit der für viele obskur klingenden Forderung nach einer „Inklusions-Klausel“, die Produzenten dazu verpflichten könnte, wenigstens bei Nebendarstellern darauf zu achten, die Wirklichkeit zu repräsentieren.

Wie überhaupt Repräsentation das zentrale Stichwort dieser 90. Oscar-Verleihung bildete. Der Hauptgewinn für del Toros „The Shape of Water“ repräsentierte demnach das Bedürfnis nach unkonventionellem Kino und paradoxerweise gleichzeitig den Kompromiss zwischen den polarisierenden Filmen wie „Three Bilboards Outside Ebbing, Missouri“ und „Get Out“. Dessen Regisseur Jordan Peele erhielt als erster Afroamerikaner den Oscar für das Originaldrehbuch. Der 89-jährige James Ivory nahm als ältester Oscar-Preisträger für „Call Me by Your Name“ die Auszeichnung für das beste adaptierte Drehbuch entgegen, während er auf seinem Hemd das Porträt eines der jüngsten Nominierten, des 22-jährigen Hauptdarstellers seines Films, Timothée Chalamet, zur Schau trug. Greta Gerwig aber ging mit ihrem „Lady Bird“ leer aus.

Gerwigs Schicksal steht dabei für die deprimierende Statistik hinter allen Reformbemühungen: Mit sechs ausgezeichneten Frauen (im Gegensatz zu 33 Männern) ist 2018 die niedrigste Zahl seit 2012 erreicht, als vier Frauen mit Oscars nach Hause gingen. „Vier Männer und Greta Gerwig“ – so hatte Emma Stone die nominierten Regisseure angekündigt und der Ausnahmefrau zu einer Nennung mehr verholfen. Lippenbekenntnisse müssen ihre Zukunftsträchtigkeit also noch beweisen.