Abgeurteilt aus der Innenbehörde

G20-Angeklagter aus Russland erhält während seines laufenden Prozesses eine Ausweisungsverfügung

Von Kai von Appen

Schuldig? Unschuldig? – Egal! Für die Hamburger Ausländerbehörde reicht die Teilnahme an G20-Protesten aus, um die Ausweisung des russischen Staatsangehörigen Konstantin P. noch vor Ende des laufenden Gerichtsverfahrens zu verfügen. Nach Auffassung des „Außerparlamentarischen Untersuchungsausschusses G20“, der die G20-Prozesse beobachtet, verstößt dieses Vorgehen gegen rechtsstaatliche Prinzipien.

Konstantin P. muss sich seit Oktober vergangenen Jahres vor dem Amtsgericht wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten. Ihm wird zur Last gelegt, am Abend des 8. Juli gegen 23 Uhr zwei Glasflaschen auf Polizisten geworfen zu haben, die aber niemanden trafen. Gegen seine Festnahme soll er sich dann widersetzt haben.

Von Beginn an sorgte das Verfahren für rechtsstaatliche Kuriositäten: So besuchte der russische Konsul demonstrativ den Prozess, weswegen Konstantin P. Repressalien in seiner Heimat fürchtet. Zudem stellte sich heraus, dass die Aussagen der Polizeizeugen von ihrer Dienststelle in Hessen beeinflusst und abgestimmt wurden. Inzwischen sind die Flaschenwürfe vom Tisch – es geht nur noch um die Widerstandshandlung.

Trotzdem bekam Konstantin P. von der Ausländerbehörde Ende Januar die Aufforderung, Hamburg binnen fünf Tagen zu verlassen. Ihm wurde für fünf Jahre verboten, in den erweiterten Schengenraum einzureisen. Denn P. habe sich „zwecks Durchsetzung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt, das Ausweisungsinteresse wiegt somit besonders schwer“.

Das gelte unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung seines Handelns. „Die von ihm begangenen Taten und deren Begleitumstände im Zusammenhang mit den G20-Krawallen sind i.Ü. nach der hier vorliegenden Anklageschrift zweifelsfrei nachgewiesen.“ Ob P. für schuldig befunden wird, ist für die Behörde nicht relevant, denn sein Verhalten lasse „auf eine gewaltorientierte politische Gesinnung schließen, bzw. auf eine Gesinnung, die auch die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele einschließt und die Ausübung von Gewalt befürwortet“. Dies berge auch für künftige politische Veranstaltungen „ein fortdauerndes Gefahrenpotenzial“.

Die Ausländerbehörde bewertet also eine von ihr erkannte „Gesinnung“ höher ein als das abzuwartende Urteil eines Gerichts. Für P.s Verteidiger Fenna Busmann und Alexander Kienzle macht damit die Innenbehörde imRahmen eines Gerichtsverfahrens Politik.

Staatsanwaltschaft und Ausländerbehörde haben sich inzwischen verständigt, P. bis zum Prozessende eine Duldung zu gewähren. Der Erlass sei dennoch notwendig gewesen, so die Ausländerbehörde, um im Anschluss eine unverzügliche Abschiebung zu realisieren.