Doris Akrap
So nicht
: „Gute Reise, Schlechte Reise“ – Bahnfahren als Daily Soap

Foto: privat

An einem Vierertisch im ICE ist noch ein Platz frei. Die Eltern, die mit ihrem etwa 8-jährigen Sohn dort sitzen, erlauben mir, Platz zu nehmen. Von hinten drängelt sich ein sehr dicker Glatzkopf an mir vorbei. Er schiebt einen riesigen rosa Rollkoffer schwitzend und schnaubend durch den Gang. „Ich hab noch zwei leere Plätze drei Reihen weiter hinten zu vergeben“, sagt er. „Ah ja?“, sage ich. „Ja. Aber nur um das klarzustellen: Ich verkaufe sie nicht. Ich biete sie nur an.“

Ich nehme an. Und das war gut so. Hätte ich den Platz drei Reihen weiter vorne links genommen, hätte ich die Familie vielleicht wegen Menschenrechtsverletzung angezeigt.

Was war passiert? Der rosa Rollkoffer gehört der etwa 5-jährigen Tochter des sympathischen Glatzkopfs. „Mama hatte keine Lust, mitzukommen“, erzählt sie. Als Papa was zu essen auspackt und der coolen Kleinen herüberreicht, sagt er: „Das Sandwich ist ja größer als du. Gib mal her.“ Er beißt rein und erwischt exakt die Hälfte des riesigen Brötchens. „Nimm alles“, sagt die Kleine. Und Papa fragt nicht: „Sicher?“

Nach zehn Minuten brüllt die Kleine: „Papa, ich will noch ein Sandwich!“ „Es gibt erst wieder ein Sandwich, wenn es dunkel ist“, antwortet Papa. Dann kriecht die Kleine unter dem Sitz hervor und läuft zum Vierertisch vorne links. Was da gespielt wird, verstehe ich nicht. Das Einzige, was ich verstehe, ist, dass die Eltern mit dem Ernst, dem Eifer und der Humorlosigkeit preußischer Zuchtmeister Lehrvorträge in Biologie, Mathematik und ägyptischer Geschichte halten.

Die kleine Göre vom Papa gucken sie nicht mal an. Und die merkt, ohne dass man es ihr sagt, dass sie hier nicht erwünscht ist.

Als sie wieder neben Papa steht, versucht der, sie aufzumuntern: „Lauf ein bisschen durch den Zug und such nach anderen Kindern.“ Die Kleine will aber nicht. Papa schickt sie nachgucken, ob ihre Koffer am Ende des Wagens noch da seien. Die Kleine rennt los und teilt nach einer Minute Papa und dem stark besetzen Zug brüllend mit: „Papaaaaaa. Die Koffer sind alle noch dahaaaaaa!“ Und weil Papa nicht zurückbrüllt, brüllt sie, im Glauben, Papa habe sie vielleicht nicht gehört, das ganze noch mal. Jetzt noch lauter: „Papapaaaaaa. Die Koffer sind noch dahaaaaaaaa!!!!“

Die Fünftage­vorschau

Mi., 7. 3.

Adrian Schulz

Jung und dumm

Do., 8. 3.

Jürn Kruse

Nach Geburt

(auf taz.de)

Fr., 9. 3.

Franziska

Seyboldt

Psycho

Mo., 12. 3.

Kefah Ali Deeb

Nachbarn

Di., 13. 3.

Sonja Vogel

German Angst

kolumne@taz.de

Die Eltern des 8-Jährigen halten ihrem Sohn währenddessen die Ohren zu.

Man könnte jetzt eine pikante soziologische These zu diesen drei Stunden aufstellen. Man kann aber auch einfach die Frage stellen: Warum gibt es im Nachtprogramm der Fernsehsender zwar Deutschlands schönste Bahnstrecken, aber keine Lindenstraße auf Rädern? Eine Vorabendserie, die im ICE, im RE oder im RB spielt? Titel: GRSR – Gute Reise, schlechte Reise! Oder analog zur Lindenstraße nach Strecken benannt: „Münster–Coesfeld–Empel-Rees“ oder „Brohl–Engeln–Kempenich“. Oder einfach „Achtung, Zugteilung in Hamm (Westf)“. Das Drehbuch schreibt die Reality-Soap DB von ganz allein.