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Von geistigem Mist und Hoforganismus

Biodynamischer Landbau ist weit mehr als einfach nur „öko“. Die Landbau-Richtlinien des Demeter-Verbandes sind streng

Von Ansgar Warner

„Die Leute werden mit Wissenschaft die Äcker düngen“, prophezeite Rudolf Steiner Anfang der 1920er Jahre und äußerte die Befürchtung: „Die Kartoffeln, das Getreide, alles wird immer schlechter.“ Die vermeintlichen Segnungen der organischen Chemie lehnte der Erfinder der später „biodynamisch“ genannten ganzheitlichen Landwirtschaft von vornherein ab. Die heutige „grüne“ Gentechnik hätte er wohl erst recht in Bausch und Bogen verdammt: „Am Pflanzenwachstum ist der ganze Himmel mit seinen Sternen beteiligt“, postulierte der selbst auch etwas erdferne, vergeistigte Stadtmensch. Spirituell interessierten Landwirten empfahl er schon mal das Meditieren am Rande der dampfenden Scholle, um „allmählich in ein Erleben des Stickstoffs ringsherum“ zu geraten. Empfehlungen solcher Art finden sich zahlreich in den acht „landwirtschaftlichen Vorträgen“, die Steiner kurz vor seinem Tod gehalten hat und als „geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“ verstanden wissen wollte.

Doch die daraus erwachsene biodynamische Landwirtschaft, das müssen selbst Kritiker eingestehen, bietet fast hundert Jahre später weitaus mehr als – in den Worten ihres Erfinders selbst – „geistigen Mist“, der in Kuhhörner gefüllt und unter dem Acker vergraben wird. Der „landwirtschaftliche Impuls“, so der Berliner Historiker Helmut Zander, gehöre zu den „nachhaltigsten gesellschaftlichen Engagements“ der anthroposophischen Bewegung.

Das zeigen auch die nackten Zahlen: Allein in Deutschland bewirtschaften mehr als 1.500 Landwirte mit etwa 77.000 Hektar Fläche ihre Höfe nach den Richtlinien des bereits 1924 gegründeten Demeter-Verbands. Die nach der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin benannte Vereinigung setzt sich für eine „lebendige Kreislaufwirtschaft“ ein, die weit über herkömmliche Ökostandards hinausgeht. Zu den fleißigen Ackermännern und -frauen kommen 330 Lebensmittelhersteller und Verarbeiter, die an den Naturkost- und Reformwarenhandel liefern.

Einige gehen locker ran

Nimmt man noch die „unorthodox“, aber organisch wirtschaftenden Biobauern in aller Welt hinzu, ist der Einfluss sogar weitaus größer. Neben zertifizierten Demeter-Betrieben gibt es weltweit nämlich auch zahlreiche Landwirte, die sich etwas lockerer an biodynamischen Methoden orientieren, so etwa in Indien oder den USA.

Allen gemeinsam ist die Auffassung, dass Boden und Pflanze eine Einheit bilden, die man nicht aus dem Gleichgewicht bringen darf. Mit selbst erzeugten „biodynamischen Präparaten“ aus Zutaten wie Schafgarbe, Kamille, Brennnessel oder Löwenzahn wird deswegen die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Statt Dünger von außen hinzuzuführen, vertrauen die Landwirte zudem auf Nährstoffe, die der „Hof­organismus“ selbst liefert, insbesondere Mist von Kühen und Rindern.

Eine stark am Tierwohl orientierte Haltung von Nutztieren gehört auch aus diesem Grund von Anfang an zum Konzept der biodynamischen Landwirtschaft – auf zertifizierten Demeter-Höfen ist die Tierhaltung sogar obligat.

Dabei werden auch immer wieder neue Methoden und Verbesserungen ausprobiert – so stellen etwa mehr und mehr Demeter-Betriebe derzeit auf die „muttergebundene Kälberaufzucht“ um: Kälber haben dabei die ersten drei bis vier Monate kontinuierlichen Kontakt zum Muttertier und nicht nur wenige Tage, wie es bisher meist der Fall war.

Was einem Besucher auf Demeter-­Höfen sofort auffällt: Die Kühe haben Hörner – denn auf die in der konventionellen Tierzucht übliche „Enthornung“ wird verzichtet, da sie das Wohlbefinden der Tiere beeinträchtigen kann. Nicht nur körperlich, sondern auch psychisch, denn die Hörner spielen offenbar auch eine wichtige Rolle bei der Kommunikation zwischen einzelnen Kühen und der Hierarchiebildung innerhalb einer Herde.

Auch andere Tierarten kommen in den Genuss biodynamischer Methoden – so etwa Hühner, die in Ställen mit Tageslicht gehalten werden, genügend Auslauf im Freien erhalten und mit nicht kupierten, also nicht beschnittenen Schnäbeln nach Futter picken können. Ein noch in der Zukunft liegendes Ziel ist der Übergang zum Zweinutzungshuhn, das je nach Geschlecht als Legehenne oder Masthahn zum Einsatz kommt. Das bisher meist praktizierte Töten von männlichen Küken soll auf diese Weise vermieden werden. Der Demeter-Verband kooperiert in diesem Bereich mit der „Bruderhahn-Initiative“, die das Konzept branchenweit durchsetzen will.

Selbst bei der Honigproduktion gehen Demeter-Imker ganz eigene Wege. Kein Wunder, war doch der „Bien“ als Gesamtorganismus vieler Einzelwesen schon für Rudolf Steiner eine wichtige geistige Inspiration. Mittlerweile wurden aus Steiners Gedanken über die Bienenzucht eigene Richtlinien für „wesensgemäße Bienenhaltung“. Dazu gehören etwa Naturwaben, Winterfütterung mit dem selbst erzeugten Honig, der Verzicht auf künstliche Königinnenzucht wie auch das Zulassen des Schwärmens als natürliche Vermehrungsmethode.

Bei der Entwicklung von Saatgut für Gemüse und Getreide setzen die anthroposophisch orientierten Landwirte ebenfalls eigene Akzente, im starken Kontrast zu den international tätigen Saatgutkonzernen. Statt maximal profitabler, mit Patenten geschützter Einheitssorten verwenden die biodynamischen Pflanzenzüchter eine regional angepasste Sortenvielfalt und bleiben dabei dem Gemeinwohl verpflichtet: Die Besitzrechte an den Züchtungen hält Kultursaat e. V., ein gemeinnütziger Verein.

Ganz ähnlich wird inzwischen auch mit landwirtschaftlich genutzten Flächen selbst verfahren, die in Zeiten der Bodenspekulation zum knappen Gut geworden sind: Damit der wachsende Bedarf an Biolebensmitteln mit hiesigen Erzeugnissen gedeckt werden kann, wurde die BioBoden-Genossenschaft gegründet. Sie kauft geeignetes Ackerland auf, entzieht es so der Verwertungsspirale und verpachtet es an Biolandwirte. Nicht nur Demeter-Partner aus der Naturkostbranche unterstützen diese Genossenschaft, auch viele KonsumentInnen selbst sind dort aktiv.

Andrea Feinbier im Gewächshaus der Hofgemeinschaft Landgut Lübnitz

Foto: Katja Hoffmann/laif