Synekdochischesbei Hesse

Michael Kleeberg verteidigt im Literaturhaus in der Fasanenstraße den Lieblingsautor der Hippies

Anders als Proust gilt Hesse in gebildeten Kreisen als ziemlich uncool

Von Detlef Kuhlbrodt

Noch bis zum 11. März wird die Ausstellung „Zwischen den Fronten. Der Glasperlenspieler Hermann Hesse“ im Literaturhaus an der Fasanenstraße gezeigt. Sie bietet einen Einblick in den etwa tausendfünfhundert Seiten langen Briefwechsel zwischen Hermann Hesse (1877–1962) und seinem Sohn Martin, der ab 1932 am Berliner Bauhaus studiert und sich 1968 das Leben genommen hat. Dieser Briefwechsel wurde erst jetzt durch Hesses Enkelin Sibylle Hesse-Siegenthaler zugänglich gemacht und zeigt unter anderem Hesses Jonglieren „zwischen den Fronten“ in den Jahren 1933 bis 1945.

Die Ausstellung ist von einem umfangreichen Beiprogramm flankiert, bei dem es zuletzt darum ging, ob Hermann Hesse ein deutscher Proust sei. Der Autor und Übersetzer Michael Kleeberg vertritt diese These. Er hatte unter anderem Teile von Prousts „Recherche“ übersetzt und im letzten Jahr die renommierte Poetik-Dozentur an der Goethe-Universität Frankfurt am Main bekleidet.

Die Veranstaltung ist irgendwie ein bisschen depressiv. Weil sie im Kaminzimmer stattfindet, in das höchstens vierzig Leute passen, fällt es nicht auf, dass vielleicht nur 25 da sind. Während Kleeberg also einleitend so ungefähr sagt, dass es sich die Literaturwissenschaften zu einfach machen, wenn sie in Proust den Giganten und in Hesse den pietistischen Kitschautor sehen, und von der großen Evokationskraft beider Autoren berichtet und dem Kumulativen bei Proust, dem er das Synekdochische bei Hesse gegenüberstellt, schaut man auf die hübschen, jagdzimmermäßigen Tapeten und denkt an einen Buchmessenempfang von suhrkamp 2011, bei dem ein dissidentischer chinesischer Autor lange von Hesses Erzählung „Unter dem Rad“ geschwärmt hatte und die versammelten Literaturkritiker peinlich berührt zu Boden schauten, weil sie in Hesse nur den Lieblingsautor aller verzweifelten Adoleszenten sehen und die Wirren des Heranwachsens als souveräne Kulturkritiker natürlich überwunden zu haben meinen.

Der Lieblingsautor der Hippies, in aller Welt gern gelesen, gilt in gebildeten Kreisen als ausgesprochen uncool. Vor allem das Spätwerk sei großartig. Nicht um den hohen literarischen Rang Hesses zu beweisen, sondern um Vergnügen zu machen, liest Frank Arnold einige Hesse-Passagen vor – etwa aus „Kinderseele“ (1918) und „Der Bettler“ (1948) – und stellt sie passenden Proust-Passagen aus „Combray“ gegenüber.

Kleeberg erzählt von Hesses Analyse bei einem Jung-Schüler, von dem Vater bei Hesse; der Mutter bei Proust. Manchmal, wenn man nicht richtig aufgepasst hat, meint man tatsächlich eine Proust-Passage zu hören, wo Hesse verlesen wird; hat aber auch den Verdacht, dass sich Proust-mäßige Passagen bei einigen großen Autoren aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden lassen.

Wie Hesse selber Proust rezipierte, hätte einen auch interessiert. Gleichzeitig ist Hesse vielleicht nicht so uninteressant, wie oft gemeint wird, und man sollte noch mal gucken. Nach rund siebzig Minuten ist die Veranstaltung zu Ende. Eine Diskussion gibt es nicht. Notgedrungen ist alles ein bisschen unbefriedigend.

Später überlege ich, ob es sich mit Hesse ähnlich verhält wie mit dem kürzlich verstorbenen Ex-Superstar und „Mädchenschwarm“ (Proust!!!!!) David Cassidy, der ja auch als uncool gilt. Daheim finde ich heraus, dass ehemals drogenabhängige Jugendliche am „Frankfurter Bildungszentrum Hermann Hesse“ ihren Abschluss nachholen können, was witzig ist, weil Hesse ja der Lieblingsautor der Hippies war und der Hippiedrogenpapst Timothy Leary den „Steppenwolf“ und das „Glasperlenspiel“ als LSD-Trip-Lektüre interpretiert und empfohlen hatte.