Das Fifty-fifty-Märchen

Der Fußballsport in Vietnam boomt. Das liegt auch an einem Graswurzelprojekt, mit dem Vereine im Umfeld von Schulen gefördert werden. Das Besondere: eine Mädchenquote in den Teams

Am liebsten erzählen sie die Geschichte mit dem Direktor, die vom Anfang. Als also das Projekt Football For All In Vietnam (FFAV) im Jahr 2003 startet, versuchen sie, Schulen zu gewinnen, um dort Fußballvereine zu gründen, erzählt Sprecherin Chau Hong Tinh, die seit 2008 für FFAV arbeitet, aber die Geschichte verinnerlicht hat, als wäre sie dabei gewesen. Es sind Fußballvereine mit Sozialprojekten und mit einer speziellen Bedingung: einer festgeschriebenen Mädchenquote von 50 Prozent.

„Der Direktor hat sich geweigert“, so sagt es Chau. Mädchen würden nicht Fußball spielen, eine 50-Prozent-Quote sei nicht machbar. Da, erzählt Chau Hong Tinh, seien sie zu den Jungs in der Schule gegangen. „‚Wollt ihr in einen Fußballverein?‘ Sie waren begeistert. Da haben wir gesagt: ‚Wenn ihr mitmachen wollt, müsst ihr mindestens ein Mädchen mitbringen.‘“ Und das taten die Jungs. 15 Jahre später hat Vietnam ein Netzwerk von 193 FFAV-Fußballvereinen mit 17.000 Kindern. Etwa 8.000 davon sind Mädchen. 15 vietnamesische Junioren­nationalspielerinnen traten ihre ersten Bälle bei FFAV. „Der Fokus ist nicht Entwicklung von Talenten“, sagt Chau, „Talente kommen als Nebeneffekt.“ Auch in Deutschland ist man nicht allzu sicher, wie man die Sache mit Mädchen und Fußball anfängt. Sollen sie nun möglichst früh mit den Jungs zusammen trainieren? Oder schreckt das ab – also lieber feinsäuberliche Trennung? Und wie gewinnt man die Mädchen? Sind Quoten da so abwegig?

„Quoten machen Sinn, gerade im Fußball, um die Dominanz von Männern aufzubrechen“, findet Esther Franke von der NGO Discover Football. „Es wäre wünschenswert, wenn eine Mannschaft nicht mehr der Jungenraum wäre, wo ein Mädchen reinkommt. Aber in Deutschland sind wir weit von Quoten entfernt, weil Fußball vor allem über Vereine läuft, weniger über Projekte.“ Discover Football hält eine Mischung für wünschenswert: geschützte Räume, wo Mädchen unter sich spielen können, ebenso wie gemischte Teams: „Idealerweise kann das Mädchen sich aussuchen, wo es hingeht.“

Ganz radikal sind sie auch bei FFAV nicht: Trainiert wird geschlechtergetrennt, für Spiele oder Turniere werden die Teams dann gemischt. Mit einer speziellen Regelung: Tore zählen nur, wenn ein Mädchen sie schießt. Das bringe Jungs zur Kooperation, sagt Chau. Allerdings finden nicht alle Kinder einen Platz. Wenn zu viele Jungs interessiert sind, müssen sie auf andere Schulsportprojekte von FFAV ausweichen.

Die Basisarbeit mit mehreren Projekten hat Vietnam einen zunehmend erfolgreichen Unterbau verschafft. Zuletzt belegte die U23 der Männer bei den Asienmeisterschaften einen umjubelten zweiten Platz. 63 unabhängige Vereine haben die Fifty-fifty-Quote von FFAV adaptiert.

Von ganz allein hat das nicht funktioniert: Eine tragende Kraft hinter der Initia­tive ist die Organisation Norad, die dem norwegischen Außenministerium unterstellt ist und FFAV zu massiven Teilen finanziert hat. Nach 2018 beenden die Norweger die Überweisungen – ein Problem. „Die Vereine müssen lernen, ohne unsere finanzielle Unterstützung weiterzumachen“, sagt Chau. Derzeit unterstützt FFAV jeden Verein noch mit 250 bis 300 Dollar im Jahr.

In Vietnam sucht man einen Weg, das Graswurzelmärchen aufrechtzuerhalten. Chau erzählt, dass einige Organisationen schon versucht haben, das Modell zu kopieren. „Aber oft funktioniert es nicht, weil Geld oder Ressourcen fehlen.“ Der Erfolg ehemaliger Teilnehmerinnen könnte helfen, die Initiative am Leben zu halten. Einige der Pionierinnen sind mittlerweile Sportlehrerinnen geworden. Und haben eigene Vereine gegründet. Alina Schwermer

Der Text wurde möglich durch die Women’s Football Media Conference von Discover Football.