Stadtgespräch
Tobias Müller aus Amsterdam
: Nach Attacken auf ein jüdisches Restaurant beschließt die Lokalpolitik ein „Amsterdamer Jüdisches Abkommen“

An das Gerotze hat sich Sami Bar-on längst gewöhnt. „Fast jedes Wochenende spuckt mir jemand auf die Scheiben“, erzählt der Inhaber des „Glatt Kosjer Restaurant HaCarmel“im Süden der Stadt schulterzuckend. Das Gleiche gilt für die Mittelfinger, die sich ihm aus hupenden vorbeifahrenden Autos entgegenstrecken. „Ich denke mir manchmal: Wenn ihr Mut habt, kommt doch rein und sagt mir, was los ist!“

In diesem Winter haben sich zum Speichel andere Substanzen gesellt, und Restaurantbesitzer Sami Bar-on ist ein regelmäßiger Kunde bei Glasereien geworden. Im Dezember knüppelte ihm ein syrischer Palästinenser die Scheiben des Restaurants ein, aus „Verzweiflung“ und als selbst deklarierter Protest gegen israelische Politik. Kurz nach Neujahr fand Bar-on nach dem Schabbat die Fensterfront mit Mayonnaise und Eiern beschmiert. Anfang März mussten die extradicken Scheiben schon wieder erneuert werden: Jemand hatte nachts probiert, sie mit einem schweren Gegenstand einzuwerfen.

Während die Polizei einen antijüdischen Hintergrund der Tat noch nicht bestätigen wollte, reagierte die lokale Politik: Wenige Tage nach dem jüngsten Angriff auf das Restaurant, das inzwischen landesweit bekannt ist, schlossen die lokalen Abteilungen von zwölf Parteien ein „Amsterdamer Jüdisches Abkommen“. Ziele: Antisemitismus und Gewalt gegen Juden bekämpfen, sowie ein stärkerer Einsatz für die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft und ihrer Infrastruktur.

Ein auffälliger Schritt, und einer mit Pionier-Charakter: „Es ist das erste Mal in den Niederlanden und in Europa, dass die Parteien, die sich zur Wahl stellen, zuvor ein Abkommen über Dinge unterzeichnen, die für die jüdische Gemeinschaft von vitaler Bedeutung sind“, kommentiert der Dachverband jüdischer Gemeinden NIK (Nederlands Israëlitisch Kerkgenootschap). Die Kommunalwahlen, die im ganzen Land am 21. März stattfinden, dürften zum Teil für die schnelle Reaktion verantwortlich sein.

Allerdings ist dies kaum der einzige Grund. In der Häufung der Angriffe auf das koschere Restaurant bestätigt sich eine Tendenz, die Juden in Amsterdam und anderen niederländischen Städten seit Langem besorgt. Am Wohnhaus von Oberrabbiner Binyomin Jacobs etwa werden seit Jahren ab und an die Fensterscheiben eingeschmissen. In der Neujahrsnacht passierte das gleiche bei der orthodoxen Chabad-Vereinigung im Zentrum der Hauptstadt.

2017 wurden insgesamt 113 antisemitische Vorfälle in den Niederlanden registriert – vier mehr als 2016. In polizeilichen Diskriminierungsstatistiken sind Juden als Opfer überrepräsentiert. Laut Staatsanwaltschaft sind 22 Prozent aller Diskriminierungsfälle antisemitischer Natur. Seit Jahren geht unter den rund 50.000 niederländischen Juden, von denen die meisten in Amsterdam wohnen, die Angst vor Übergriffen um. Kippot oder sonstige als jüdisch erkennbare Accessoires werden in der Öffentlichkeit vermieden. Auswanderung ist zumal in der jungen Generation eine ernsthafte Option.

Lange hat man auch in Amsterdam, ob seiner jüdischen Tradition einst „Jerusalem des Nordens“ genannt, diesen Entwicklungen zugesehen. Dabei sind Alltagskultur und Umgangssprache bis heute von jiddischen Ausdrücken geprägt, so wie die stolze Selbstbezeichnung als „Mokum“, die auf das hebräische Wort für „Stadt“ zurückgeht.

Nun aber wollen die Parteien zeigen, dass sie „als künftige politische Fraktionen“ für eine Stadt stehen, die ihre 400-jährige jüdische Geschichte „wertschätzt und sich um ihre jüdischen Einwohner kümmert“. Dazu gehört, dass alle Schüler der Stadt eine jüdische Einrichtung besuchen und auch Migranten „die Geschichte der Amsterdamer Juden hören“, so Ruben Vis, der als allgemeiner Sekretär des NIK die Initiative zum Abkommen ergriff.

Auffällige Abwesende unter den Parteien waren „Denk“, die vor allem unter türkischen Niederländern erfolgreich ist, und die vor allem auf Anti-Diskriminierung ausgerichtete Bij1. Letztere gab an, man sei zwar gegen Antisemitismus, stimme aber mit der entsprechenden Definition nicht überein, die das Recht, Israel zu kritisieren, einschränke.