Drahtseilakt

WIDERSTAND Im österreichischen Kleinwalsertal soll eine Panoramabahn Berggipfel verbinden. Naturschützer und Hoteliers wehren sich gemeinsam gegen den Bau

■ Das Bauvorhaben: Im österreichischen Kleinwalsertal will ein Investor eine Panoramabahn zwischen zwei Gipfeln errichten.

■ Die Gegner: Naturschützer, Hoteliers, Geistliche und Einheimische wollen das umstrittene Großprojekt verhindern.

■ Die Abstimmung: Am 21. Oktober werden die Gemeindemitglieder in einer Volksabstimmung über den Bau der Bahn entscheiden.

VON JOHAN KORNDER

Zwar lässt der Herbst das Laub im Kleinwalsertal leuchten. Gelb. Orange. Rot. Doch der Himmel ist grau, Nebel zieht wie Rauchschwaden über die Bergwiesen und die Stimmung der Menschen im Tal ist kühl wie das Wetter.

Im Kleinwalsertal soll eine Panoramabahn gebaut werden. In der österreichischen Exklave, Bundesland Vorarlberg, nur eine schmale Straße führt aus Deutschland hierhin, will die Kleinwalsertal Bergbahn AG etwa 40 Millionen Euro investieren. Die jahrzehntealten Skilifte sollen modernisiert, ein Restaurant für 550 Gäste in den Berg betoniert, vor allem aber soll ein Drahtseil gespannt werden, über knapp dreitausend Meter, zwischen den Gipfeln des Hohen Ifen und des Walmendinger Horns. Die Bergbahn AG verspricht, durch den Bau der Panoramabahn neue Gäste anzulocken und so Arbeitsplätze zu sichern.

Doch im Tal sind nicht alle begeistert von dem Megaprojekt. Dass Umweltaktivisten sich auflehnen, war zu erwarten. Doch gegen das Bahnprojekt haben sich ungewöhnliche Allianzen gebildet. Im Kleinwalsertal sammelten Naturschützer und Hoteliers gemeinsam Unterschriften, ein katholischer und ein evangelischer Geistlicher erklommen den Hohen Ifen, um gemeinsam zu beten, auf dass die Natur nicht verschandelt werde. Und selbst der Altbürgermeister spricht sich gegen das Projekt aus, ist Mitinitiator eines Bürgerentscheids.

Das Kleinwalsertal wird vom Tourismusverband als unberührtes Naturerlebnis beworben, genau dieses Pfund sehen die Bahngegner in Gefahr. „Es ist ein Irrglaube, dass diese Bahn uns hilft“, sagt der Hotelier Hermann Haller. In einer Region, in der die Zahl der Urlauber seit einigen Jahren sinkt, kämpft er gegen eine Touristenattraktion, die zahlreiche Übernachtungsgäste verspricht. Es klingt paradox, aber Haller findet nicht sein Verhalten widersinnig, sondern das Projekt sinnlos. Der Vorstand der Kleinwalsertaler Bergbahnen AG, Augustin Kröll, entgegnet: „Die meisten Hoteliers unterstützen unser Projekt. Denn es braucht ein gewisses infrastrukturelles Niveau und wir haben mit der Panoramabahn die schonendste Variante gewählt.“

Sein Widerpart Haller findet dagegen: „Der Tourismus hat sich verändert. Es muss zu einer Reduzierung kommen, sonst kommt irgendwann gar keiner mehr.“ Die Panoramabahn verunstalte den Blick auf die Berge und für Bau und Betrieb seien unakzeptable Eingriffe in die Natur notwendig, denn die Bahn soll über das Schwarzwassertal führen, ein Naturschutzgebiet. Und auch das Hauptargument der Bahnbetreiber, die vielen neuen Gäste, wollen die Bahngegner nicht gelten lassen. Johannes Litich, Kasinomitarbeiter und Vorstand der Bürgerinitiative „Aktion für den Ifen“, befürchtet, wenn die Bahn komme, „wird bald auch bei uns nur noch Natur inszeniert“. Außerdem werde durch die Bahn vor allem der Tagesausflugsverkehr gesteigert, was zwar für die Bahnbetreiber rentabel wäre, aber die Stammgäste, die das beschauliche Tal gewöhnt sind, wohl eher abschrecken wird.

Wenn durch die Gipfelbahn die „natürliche Barriere“ nach oben verschoben wird, leide die Natur extrem, sagen die Aktivisten. Ist es bis heute so, dass die höheren Bergregionen nur von wenigen Wanderern erklommen werden, würde der Bahnbau dazu führen, dass es deutlich mehr Menschen bis ganz nach oben schaffen. So wird mehr Müll auf den Berg getragen, und wenn mehr Menschen den Hohen Ifen erklimmen, müssen auch mehr Menschen eine Pinkelpause einlegen. Da der Hohe Ifen aus durchlässigem Karstgestein besteht, werde dadurch das Grundwasser beeinträchtigt. Völlig unklar sei zudem, wo all die Autos parken sollen, wenn denn die vielen Urlauber ins Tal strömen. Der Hotelier Haller sagt dazu: „Das Projekt dient nicht dem Qualitäts-, sondern allein dem Massentourismus.“ Und der habe keine Zukunft, da er die Natur systematisch zerstöre.

Für Haller gibt es drei Säulen, die den Tourismus der Zukunft stützen: Regionalität, Gastfreundschaft und Nachhaltigkeit. „Es geht nicht darum, wer die meisten Bahnen hat, sondern, wer die Nummer 1 in den genannten Punkten ist.“ Hermann Haller hat mit verschiedenen Mitstreitern Unterschriften gesammelt, um die Gemeinde durch einen Bürgerentscheid zu zwingen, gegen die Bahn zu votieren. Für den Bürgerentscheid brauchten sie 629 Unterschriften. Am Ende sind es mit 1.245 fast doppelt so viele geworden. Abgestimmt wird am kommenden Sonntag.

„Das Projekt dient nicht dem Qualitäts-, sondern allein dem Massentourismus“

DER HOTELIER HERMANN HALLER

Mitglieder des Alpenvereins, der Fischereibehörde und des Naturschutzbundes gingen dafür wie sonst die Zeugen Jehovas von Tür zu Tür. Doch im Gegensatz zu den Religionsverbreitern wurden die Hausierer zumeist herzlich empfangen und bekamen die erwünschte Unterschrift. Auch Karl Kessler vom Landschaftsschutz Kleinwalsertal e. V. half mit, denn er fühlt sich von den Bahnbetreibern übergangen. „Ich sehe Parallelen zu Stuttgart 21“, sagt Kessler. „Man hat versucht, uns mit wenigen Argumenten einzuschläfern, und unsere Einwände werden einfach ignoriert. Bis letztes Jahr wurden wir immerhin noch angehört, aber es wurde uns nicht zugehört, mittlerweile werden wir nicht mal mehr angehört.“

Um sich Gehör zu verschaffen, haben die Protestler auch ein Video gedreht, in dem sie mit einer gehörigen Portion Ironie fordern, man möge doch gleich ein Panoramakarussell errichten, also nicht nur das Walmendinger Horn und den Hohen Ifen verbinden, sondern die Bahn gleich bis zur Kanzelwand und nach Oberstdorf verlängern. Doch bei allem Witz meinen es die Gegner ernst. Sie fürchten um die Schönheit ihrer Heimat und fühlen sich genötigt. „Wir sind nicht gegen eine Modernisierung der bestehenden Seilbahnen“, sagt der Bergführer Martin Rietzler von der Bürgerinitiative „Aktion für den Ifen“. Die Bahnbetreiber aber drohen, dass die alten Lifte nur erneuert werden, wenn auch die Panoramabahn gebaut werden darf. „Das ist Erpressung!“, sagt Bergführer Rietzler mit schneidender Stimme.

Welches Tourismuskonzept am Ende mehr Zustimmung findet, wird die Bürgerbefragung am Sonntag zeigen. Auch die unterkühlte Stimmung könnte sich dann auflösen. „Wenn eine Entscheidung gefallen ist“, sagt Rietzler, „werden sich die Gemüter in jedem Fall beruhigen.“