Zu konservativ für die CSU: Zwischen Wald und Widerstand

15 Jahre lang war Josef Göppel der grüne Schwarze im Bundestag. Jetzt will er als Pensionär die Energiewende in Afrika voranbringen.

Porträt Josef Göppel

Hat noch viel vor: Ex-CSU-MdB und Exförster Josef Göppel Foto: imago/photothek

HERRIEDEN taz | Am Ende des engen Pfads öffnen sich die Roteichen, Fichten und Tannen zu einer Lichtung. Hüfthoch stehen hier die Grundmauern einer alten Kapelle: Sankt Salvator im Steinbachwald, 70 Kilometer südwestlich von Nürnberg. Der Himmel leuchtet an diesem milden Herbsttag im schönsten bayerischen Weißblau. Durch die Idylle läuft Josef Göppel. Graue Haare, Trachtenjanker, sein Jagdhund Asko an der Seite. Ein Bild wie aus einem Werbefilm der CSU.

Das Bild trügt. An diesem Oktobertag ist Göppel nur noch fünf Tage Mitglied des Deutschen Bundestages für die Christlich-Soziale Union. Seine Karriere als erfolgreichster Verlierer der deutschen Umweltpolitik geht zu Ende. „Dankbar, aber nicht wehmütig“ verlasse er das Parlament, sagt der Förster aus dem mittelfränkischen Herrieden.

Jahrzehntelang hat er für Energiewende und nachhaltige Landwirtschaft gekämpft, sich mit Konzernen und Parteifreunden angelegt. Das tut Göppel jetzt da, wo es seiner Partei am besten gefällt: ganz weit weg. Im März 2018 ist er in Afrika unterwegs. Im Auftrag seines Freundes, des alten und neuen CSU-Entwicklungsministers Gerd Müller.

Als unbezahlter Seniorexperte reist Göppel zusammen mit der grünen Ex-Abgeordneten Bärbel Höhn durch Länder wie Tansania, Burundi und Senegal. Das Ziel: Tipps zur Energiewende geben, vermitteln, Kontakte herstellen. Die Länder profitieren. Die CSU auch. Denn Göppel ist für seine Partei nicht irgendeine Nervensäge. Sondern schlicht zu konservativ.

In der Fraktion hielten ihn viele für einen Spinner

Der Widerstand des Waldmenschen gegen seine Parteifreunde ist legendär. In 15 Jahren im Bundestag stimmte er 28-mal gegen seine Fraktion: für das Erneuerbare-Energien-Gesetz und für ein Tempolimit auf Autobahnen, gegen das Ackergift Glyphosat, gegen Fracking, gegen Atomkraft. Als er 2011 das Griechenland-Rettungspaket ablehnte – ihm fehlte eine Finanztransaktionsteuer –, bekam er Anrufe „von der gesamten Staatsspitze“, wie er sagt: Merkel, Schäuble, Kauder, Seehofer. Göppel stimmte trotzdem mit Nein. In der Fraktion hielten ihn viele danach für einen Spinner.

Aber Göppel spinnt nicht. Er ist vom Fach, kennt die Fakten und ist immer akribisch vorbereitet. Er verwandelte sein Handicap in einen Vorteil. Seit Jahren ist er nierenkrank und muss häufig zur Dialyse. Dort studiert er Akten. Die Krankheit hinderte ihn aber auch daran, nächtelang mit Kollegen Deals einzufädeln. Zu Joachim Pfeiffer, dem mächtigen Wirtschaftssprecher der Union und einem seiner Gegenspieler bei der Energiewende, hat er den guten Kontakt verloren. „Vielleicht hätte ich mit ihm öfter ein paar Bier trinken sollen“, sagt er mit Bedauern.

Göppel hinterlässt einen deutlichen ökologischen Fußabdruck in der deutschen Politik: Er hat für die Energiewende in Bürgerhand gekämpft und das grüne Gewissen der Union wachgehalten, „eine undankbare Aufgabe“, wie er selbst sagt. Sein „Deutscher Verband für Landschaftspflege“ macht europaweit Lobbyarbeit für nachhaltige Landwirtschaft – als Kooperation von Umweltschützern, Gemeinden und Bauern. So stellt sich Göppel erfolgreiche Politik vor: miteinander, nicht gegeneinander.

Auch deshalb packt der 67-Jährige für das Entwicklungshilfeprojekt „Energiepartnerschaft mit Afrika“ noch einmal die Koffer. In Ostafrika sollen junge Leute zu Technikern für Solaranlagen ausgebildet werden. Die Idee: Ausbildung bieten, Wirtschaftskraft stärken, Fluchtursachen bekämpfen.

Göppel hat das Parlament verlassen, Deutschland hat einen Rechtsruck gemacht. „Konservativ ist wieder sexy“, erklärt die CSU. Göppel, der bekennende Konservative, schüttelt da nur den Kopf. 1970 trat er in die Partei ein, gleichzeitig in den Bund für Naturschutz. Kein Widerspruch für ihn. Für die CSU schon. Seine Partei sei neoliberal geworden, schotte sich gegen Fremde ab und vergesse Heimat und die Verantwortung für die Schöpfung, so sieht er das: „Die CSU hat das C im Namen verraten“.

Dem neuen Ministerpräsidenten in Bayern, Markus Söder, prophezeit er „nur mit einem echten Politikwechsel“ eine Zukunft. Gegen dessen Lieblingsprojekt, an allen Autobahnausfahrten neue Gewerbegebiete auszuweisen, macht Göppel schon mal Stimmung. Zusammen mit den Grünen.

Der Forst war nicht nur mentales Rückzugsgebiet

Sankt Salvator im Steinbachwald erklärt viel über den Abgeordneten. Die Kapelle wurde 1808 von der bayerischen Regierung zerstört, im Namen des Fortschritts wurde den Franken ein Stück Identität und Heimat genommen. Göppels Familie lebt dort seit 1582. Er findet auch heute noch gute Gründe für Widerstand gegen die Obrigkeit. Zum Beispiel diese Gewerbegebiete, auch vor den Toren seiner Heimatstadt Herrieden, gegen die er poltert.

In seinem alten Forstrevier, dem Steinbachwald, verweist er auf die Steinpilze, räumt tote Äste aus dem Weg und ärgert sich über die moderne Forstwirtschaft, die riesige Schneisen in den Wald schlägt. An einem sumpfigen Bach schwärmt er von der Vitalität des Waldes. Aber der Forst war nicht nur ein mentales Rückzugsgebiet, sondern auch Schutz vor der Politik. „Ich wusste immer, wenn das schiefgeht, kann ich sofort wieder als Förster arbeiten. Das hat mich wirtschaftlich unabhängig gemacht.“

Viermal hat er seinen Wahlkreis direkt gewonnen, jeweils mit besserem Ergebnis als die CSU bei den Zweitstimmen. Auch das hat ihn innerlich frei gemacht. Seine Wähler sind keine Ökofans. Was sie überzeuge, sei seine feste, konservative Haltung, sagen Freunde und Gegner. Und das Geld auf dem Konto aus der Energiewende. „Ich kenne Landwirte, die verdienen hier im Wahlkreis mit dem Solarstrom vom Dach mehr als mit der Landwirtschaft“, sagt der grüne Kreistagsabgeordnete Uwe Schreiner.

„300 Millionen Euro Wertschöpfung im Jahr“ kämen durch die Erneuerbaren in seinen Wahlkreis, meint Göppel. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 3 Prozent. Da hat es ihm auch nicht geschadet, dass er 2000 als Landtagsabgeordneter in der „Verwandtenaffäre“ seine Frau und zwei Töchter bei sich anstellte, wie es viele machten. Göppel sagt, er habe wegen seiner Krankheit die Hilfe seiner Familie bei Transport und Büroarbeit gebraucht. „Aber das war ein Fehler, ganz klar“, meint er rückblickend. „Da bleibt ein Fleck auf der weißen Weste.“

Göppel „ist ein Solitär“

„Bei Göppel weiß jeder, woran er ist“, sagt Thomas Bareiß, parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und einer von Göppels Gegnern in der Unionsfraktion. „Er ist ein Solitär.“ Ein vergiftetes Kompliment: Göppel stand allein, zweimal ist er daran gescheitert, eine starke Ökolobby in der Fraktion aufzubauen. „Es fehlte das Inter­esse“. Deshalb verlässt er das Parlament in ungeordneten Verhältnissen: Die Union verantwortet weiter die ökologischen Notstandsgebiete Energie, Landwirtschaft und Verkehr. Göppel hat sich die Grünen in der Regierung gewünscht, das Aus der Jamaika-Verhandlungen hat ihn enttäuscht.

„Wir haben uns oft gefragt, was ihn noch in der CSU hält“, sagt der Grüne Uwe Schreiner. Ist Göppel ein grüner Schwarzer oder ein schwarzer Grüner? „Das ist für mich beides gleichwertig“, sagt er selbst. Aber: „Ich bin von meiner ganzen Grundhaltung her konservativ: gute Traditionen unserer Vorfahren, die christliche Orientierung auf Menschen in Not und der Erhalt gesunder Lebensgrundlagen sind mir wichtig.“ Göppel spricht von „Heimat“, wo die Grünen „ländliche Räume“ sagen. Der Bezug auf „den Herrgott, der mir mit meiner Krankheit meine Grenzen zeigt“, ist für ihn normal. Er hat gegen die Ehe für alle gestimmt, weil ihm der offene Begriff der Ehe nicht passt. Göppel denkt grün. Ein Grüner ist er nicht.

In der Flüchtlingspolitik stand er auf Merkels Seite. „Die modernen Konservativen wollen, dass man sie mit dem Elend der Welt nicht behelligt. Aber das funktioniert nicht mehr.“ Auch deshalb macht er sich auf nach Afrika.

Kann man mit so einem überhaupt Politik machen? Da braucht man Kompromisse. Thomas Bareiß nennt es ein Dilemma: „Die Wähler lieben Politiker wie Göppel, die zu ihren Überzeugungen stehen. Gleichzeitig hassen sie Streit in der Partei.“ Göppel selbst findet 28-mal Widerspruch in 15 Jahren „wirklich moderat“. Allerdings hing von seiner Stimme nie die Regierungsmehrheit ab. Er konnte sich den Widerstand leisten.

Auf dem Weg durch seinen Forst fällt das alles von ihm ab. Er schwärmt vom Waldboden und von „Zukunftsbäumen“, die stehen bleiben müssen, um den Wald zu verjüngen. Und ganz nebenbei erzählt er, dass von seinen vier Töchtern zumindest zwei dem Vater nacheifern. Eine ist in Berlin stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe, die die Industrie mit Klagen etwa zu Diesel-Fahrverboten piesackt. Die andere hat Volkswirtschaft studiert, „um die anderen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen“, sagt Göppel mit einem Lächeln. Jetzt macht seine Tochter in Leipzig Politik. Bei den Grünen.

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