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„Sprache lebt nur, wennsie gesprochen wird“

Schleswig-Holstein ist Vielsprachenland – fürs Friesische gibt es dort nun erstmals ein Unterrichts-Lehrbuch

Schauspieler, Autor und Entertainer op Platt: Yared Dibaba lernte Niederdeutsch in -sachsen Foto: Holger Hollemann/dpa

Von Esther Geißlinger

Emma und Paul tun, was Siebenjährige so tun – sie spielen, sie gehen in die Schule. Oder einkaufen. Und was machen die beiden dabei? Na klar: „önjkiike, önjfåå­se, kuupe“, zu Deutsch: „angucken, anfassen, kaufen“. Denn Emma und Paul sind die Titelfiguren des ersten Schul-Lehrbuchs für die Minderheitensprache Friesisch, die in Schleswig-Holstein in Nordfriesland an der Nordseeküste und vor allem auf den Inseln Föhr, Sylt und Helgoland gesprochen wird.

Schleswig-Holstein ist ein Vielsprachenland: neben Hochdeutsch „Platt, Friesisch, Dänisch und Romanes – wobei Letzteres nicht verschriftlicht ist“, zählt Karen Nehlsen auf. Die Lehrerin, selbst Plattdeutsch-Muttersprachlerin, ist als Koordinatorin für Minderheitensprachen beim Lehrerfortbildungsinstitut IQSH dafür zuständig, dass alle Sprachen ihren Platz im Unterricht erhalten. Da Dänisch in den Schulen der Minderheit besonders gepflegt wird, Platt verhältnismäßig weit verbreitet ist und die schleswig-holsteinischen Roma als feste Gemeinschaft ihre Sprache bewahren, ist Friesisch das zarteste Blümchen im Sprachenstrauß. Trotz des Willens, die Sprache zu erhalten, fehlt es dafür an Lehrkräften im Land.

Nordfriesisch ist neben Ostfriesisch der kleinste der friesischen Zweige. Rund 10.000 Menschen benutzen die Sprache im Alltag, so schätzt es das Nordfriisk Instituut in Bredstedt, an dem die friesische Sprache und Kultur gepflegt und erforscht wird. Kleiner als Nordfriesisch ist insofern nur das Ostfriesische mit seinen rund 2.000 Aktiven, die vor allem im Saterland um Cloppenburg leben. Mengenmäßig bedeutsamer ist das Westfriesische, das rund 400.000 Menschen beherrschen –in den Niederlanden.

Friesisch, dessen Besonderheit die Doppelvokale sind, ist kein Dialekt, sondern eine eigene, westgermanische Sprache. „Kein Dünen-Dänisch oder Deich-Platt“, macht das Instituut klar. „Der Erhalt aller Minderheitensprachen ist unglaublich wichtig“, sagt Karen Nehlsen vom IQSH. „Es geht um Kultur und Identität.“ Sprachen müssten leben, findet die Lehrerin. „Und eine Sprache lebt nur, wenn sie gesprochen wird – wie ein Haus nur belebt ist, wenn sich Menschen darin aufhalten.“

Weil aber immer weniger Familien im Alltag Platt oder Friesisch benutzen, müssen Schulen und Kitas in die Bresche springen. An 17 schleswig-holsteinischen Grundschulen wird Nordfriesisch unterrichtet, 25 Lehrkräfte sind dafür zuständig. Sie verteilen sich auf mehrere Dialekte: Neben dem Festlandsfriesischen, „frasch“, haben die Inseln ihre eigenen Varianten: fering auf Föhr, sölring auf Sylt, halunder auf Helgoland und öömrang auf Amrum. „Es herrscht Lehrermangel in allen Dialekten“, sagt Nehlsen. Daher helfen Ehrenamtliche, die in den Kitas Vorlesestunden oder Sprechübungen anbieten.

Um dem Nachwuchsmangel entgegenzuwirken, bieten beide schleswig-holsteinischen Universitäten mit Lehramts-Studiengängen inzwischen auch Friesisch an: An der Europa-Universität Flensburg können Studierende die Sprache ab dem dritten Semester belegen, wenn eines ihrer Lehramts-Fächer Deutsch ist; am Ende steht ein Zertifikat. Auch an der Kieler Christian-Albrechts-Universität kann Friesisch als drittes Fach im Rahmen eines Lehramtsstudiums gewählt werden. Hier sind die beiden anderen Fächer aber freigestellt.

Um Lücken zu stopfen, helfen in den Schulen auch Muttersprachler ohne volle Lehrerausbildung aus, die etwa Friesisch-AGs im Nachmittagsbereich übernehmen. Immerhin haben die Lehrkräfte mit dem neuen Buch „Paul än Emma snååke frasch“ erstmals ein richtiges Buch für den Grundschulunterricht in der Hand. Bisher mussten sie sich mit selbst geschriebenen Texten behelfen. „Man kann einiges aus dem Unterricht für Deutsch-als-Zweitsprache und Englisch übernehmen“, sagt Nehlsen. „Trotzdem ist es schöner, angepasste Texte zu haben.“

Paul und Emma sprechen hochdeutsch – Paul un Emma snackt plattdüütsch – Paul än Emma snååke frasch

anschauen! anfassen! kaufen! – ankieken! anfaten! kopen! – önjkiike! önjfååse! Kuupe!

Smartphone – Plietschfon – smartfoon

Computerspiele – Computer-spele – kompjuuterspale

Staubsauger – Stoffsuger – stoofsööger

Das neue Buch ist eine Übersetzung der plattdeutschen Lernhilfe „Paul un Emma snack platt“. „Warum etwas neu erfinden, wenn wir es haben?“, fragt Nehlsen, die selbst zu den AutorInnen gehörte. Für das Friesisch-Buch konnten das IQSH und das Nordfriisk Instituut Sponsoren auftun, sodass nun insgesamt 750 Exemplare kostenlos an Kitas und Schulen verteilt werden können. Eine Übersetzung ins Föhrer Friesisch ist geplant.

Aktuell lernen rund 850 Kinder Friesisch, viele aus Friesisch-Familien, aber auch richtige „Neulerner“. Darunter seien eine ganze Reihe mit Migrationshintergrund, weiß Nehlsen: „Gerade die frisch Zugereisten haben manchmal richtig Spaß daran und sind besonders offen.“

Prominentes Beispiel ist der in Hamburg lebende Yared Dibaba, der in Äthiopien geboren wurde, in Niedersachsen mit Plattdeutsch aufwuchs und heute als Schauspieler, Autor, Entertainer auftritt – op Platt.