american pie
: Vielfraß Mo

Es ist März, der Monat des College-Basketballs. Die Michigan Wolverines mischen dabei kräftig mit – auch Dank eines Deutschen

Es war knapp, sehr, sehr knapp. Den Bruchteil einer Sekunde später und das Abenteuer wäre für Moritz Wagner schon wieder vorbeigewesen. Die Schlusssirene trötete bereits, hinter dem Korb leuchtete das rote Licht auf, als der Ball, der zum Sieg durchs Netz rauschen würde, noch in der Luft war. Jordan Poole, Wagners Teamkollege bei den Michigan Wolverines, traf am vergangenen Sonntag in allerletzter Sekunde einen unmöglichen, viel zu weit entfernten Dreier. Dank diesem spektakulären Wurf stehen die Wolverines und mit ihnen das deutsche Basketballtalent Wagner nun unter den besten 16 Teams des Collegeturniers, den sogenannten Sweet 16. Die Belohnung: Zumindest noch ein weiterer Auftritt vor zehntausenden frenetischen Fans in der Halle und Millionen vor dem Fernseher, noch einmal March Madness und noch eine Gelegenheit, sich für die NBA zu empfehlen, heute kurz nach Mitternacht im Achtelfinale gegen die Aggies von der Texas A&M University. „Ich bin sprachlos“, stotterte Wagner nach dem Spiel, „einfach nur glücklich.“

Es sind diese Momente, die Wagner erleben wollte, als er sich vor drei Jahren gegen einen Profivertrag bei Alba Berlin und für ein Stipendium an der University of Michigan in Ann Arbor entschied. Damals war der gebürtige Berliner 17 und hatte bereits einige Bundesligaeinsätze als Ergänzungsspieler auf dem Konto. Nun hatte er die Qual der Wahl: Geld verdienen mit dem Basketball in der Heimat oder Basketballspielen für Kost, Logis und ein Studium im fernen Amerika.

Ausschlag gab der Stellenwert des College-Basketballs, für den sich die Amerikaner – trotz immer wieder neuer Skandale in einem absurden System, in dem mit Spielern, die offiziell Amateure sind, Milliarden Dollars umgesetzt werden – weit mehr begeistern können als für die Profiliga NBA. Die Spieler sind Stars auf dem Campus, die Spiele finden nahezu immer vor ausverkauften Hallen statt, das Studentenpublikum veranstaltet, unterstützt von der Uni-Blaskapelle, einen Höllenlärm, und vor den Fernsehschirmen versammelt sich die Nation.

Diese ganz spezielle Atmosphäre wollte Wagner, der beste Punktesammler der deutschen Nationalmannschaft bei der U20-WM im vergangenen Sommer, erleben. Nun, im dritten Jahr in den USA, ist er auch in Michigan zum erfolgreichsten Scorer und Rebounder seiner Mannschaft aufgestiegen, beim Turnier der Big-Ten-Liga, das Michigan Anfang März gewann, wurde er zum alles überragenden Akteur gewählt. Der 2,11 Meter große Power Forward reüssiert dabei nicht nur unter dem Korb, sondern trifft auch mehr als 40 Prozent seiner Würfe von jenseits der Dreipunktelinie.

Auch am Sonntag war Wagner wieder bester Werfer seiner Mannschaft, auch wenn er die Heldentat in letzter Sekunde Poole überlassen musste. Vor allem aber ist „Mo“, wie er in Michigan genannt wird, zum Gesicht der Wolverines geworden – und zu dem, was der Amerikaner den „emotional leader“ seiner Mannschaft nennt. Wagner rastet auf dem Spielfeld gern mal aus, feiert Dunks mit animalischen Schreien, legt sich mit Gegenspielern und Schiedsrichtern an und genießt die Ablehnung, die ihm in fremden Hallen entgegenschlägt. „Die hassen mich überall“, hat er festgestellt.

Experten glauben, dass Wagner das Potenzial hat, auch ein Level höher zu spielen. Ende Juni findet der Draft statt, dann könnte der 20-Jährige von einem NBA-Team ausgewählt werden. Wenn er sich denn dafür entscheidet, denn Wagner könnte auch noch ein weiteres Jahr in Michigan bleiben, seinen Abschluss machen und weiter für die Wolve­rines spielen. „Schon als kleiner Junge habe ich mir vorgestellt, an einer Universität in den USA zu studieren und dabei Basketball zu spielen“, hat Wagner dem Big-Ten-Fernsehsender erzählt. „Und es mag vielleicht abgedroschen klingen, aber im Moment lebe ich meinen Traum.“ Heute Nacht darf Moritz Wagner noch einmal träumen. Das Final Four, die große College-Basketball-Sause der besten vier Mannschaften, beginnt am 31. März in San Antonio. Um dorthin zu gelangen, müssen Moritz Wagner und die Wolverines noch zwei Siege einfahren. Thomas Winkler