Einfach mal vergessen

Wie das mit der Retromania ist?

In Serbien zum Beispiel will man einfach nicht vergessen, dass das Kosovo ein Teil Jugoslawiens und damit eigentlich doch noch serbisches Gebiet sei. Ganz egal, ob das Kosovo nun von den anderen Ländern dieser Welt als unabhängig anerkannt ist. Was dann an den real existierenden Grenzen für die serbischen Grenzbeamten die einigermaßen schizophrene Situation schafft, bei ihrer Arbeit zu sehen, wie wenige Meter weiter Menschen ihrer Grenzarbeit nachgehen in einem Land, das aus ihrer Perspektive gar nicht da ist. Aber natürlich gibt es kleine Befriedigungen. So können serbische Grenzer manchmal aus dem Kosovo anreisende Touristen an der Einreise in Serbien hindern, weil sie die falschen (kosovarischen) Stempel im Reisepass haben. Und sie ungerührt wieder zurück in das Kosovo schicken, das in den Augen der serbischen Grenzer doch eigentlich genau das Serbien ist, in das sie die Touristen gerade gehindert haben einzureisen.

Eine einigermaßen verzwickte Situation. Möglicherweise beschreibt sie die Verfahrenheit in der gegenwärtigen Situation beim vergangenheitsbessenen Pop.

Wahrscheinlich hört man in Serbien auch „The Armed Man“ nicht ganz so gern, mit „A Mass for Peace“ im Untertitel, die der walisische Komponist Karl Jenkins geschrieben hat. Sie ist den Opfern des Kosovokrieges gewidmet. Im April 2000 wurde sie in der Royal Albert Hall in London uraufgeführt und sie zählt zu Jenkins’ populärsten Werken und wird regelmäßig aufgeführt, an diesem Samstag zum Beispiel auch in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit dem Holland Konzert Chor und dem Akademischen Orchester der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Interessant ist aber auch, dass man beim Stöbern auf der Homepage von Karl Jenkins nun keineswegs mit winkenden Zaunpfählen darauf gestoßen wird, dass der Komponist und Musiker durchaus eine Vergangenheit hat, die weiter zurückreicht, als einem die Werkliste mit seinen kunstmusiknahen neueren Arbeiten wie ebender Messe oder sein Adiemus-Projekt – eine Art Wohlfühlchor zur Befriedigung aller Bedürfnisse nach Pomp und Sphärischem, irgendwie Weltumspannendem – nahelegt. Bei den Hinweisen zur Diskografie fehlt zum Beispiel Jenkins’ Mitwirken bei Soft Machine in den siebziger Jahren. Jazzrock. Und damit doch irgendwie Pop. Hat der Mann wohl einfach vergessen.

Es könnte aber durchaus der bessere Anteil an seiner Arbeit gewesen sein. THOMAS MAUCH

■ „The Armed Man“: Gedächtniskirche, Sa., 20 Uhr