Kommentar Rassismus in den USA: Rassismus überleben

Auch 50 Jahre nach der Ermordung Martin Luther Kings ist Rassismus in den USA überall präsent. Nur die Praxis hat sich verändert.

Demonstrantinnen bei einer "Black Lives Matter" Demonstration heben die rechte Faust

„Black Lives Matter“: Demonstrantinnen und Demonstranten erheben die Faust gegen Rassismus Foto: dpa

Die Schwarze Bevölkerung in den USA muss auch 50 Jahre nach der Ermordung Martin Luther Kings am 4. April 1968 in Memphis, Tennessee, noch immer kämpfen. Nicht mehr um das Wahlrecht, das die von King angeführte Bürgerrechtsbewegung damals durchgesetzt hat. Wichtigstes Thema ist heute: eine Begegnung mit der Polizei überstehen, ohne erschossen zu werden. Allein im vergangenen Jahr wurden mindestens 20 unbewaffnete Schwarze von der Polizei in den USA getötet, in diesem Jahr sind es schon mindestens vier. Die Zahl gewaltsamer Übergriffe ohne Todesfolge wird nicht einmal statistisch erfasst.

Jede Mutter eines Schwarzen Jugendlichen bringt ihrem Kind Vorsichtsmaßnahmen bei, auf die weiße Eltern nicht kommen würden. Verhalte dich respektvoll, rede den Beamten stets mit „Sir“ an, lass dich nicht provozieren, mach keine hastigen Bewegungen. Es gab die Proteste und eine nationale Debatte über Polizeigewalt, aber es ändert sich nichts.

„Black Lives Matter“, das Motto der in den letzten Jahren erstarkten Protestbewegung, ist ja für sich genommen schon das Eingeständnis, dass in den letzten 50 Jahren nichts vorangegangen ist. Schwarze Leben sind etwas wert – wenn man das noch erklären muss, ist von Martin Luther Kings Traum nicht viel verwirklicht, trotz der acht Jahre des ersten Schwarzen Präsidenten im Weißen Haus.

Was sich verändert hat, ist nur der Diskurs. Alabamas Gouverneur George Wallace war zu Kings Zeiten ein überzeugter Gegner des Wahlrechts für Schwarze, er tat alles, damit es nicht käme, und damit hielt er auch nicht hinterm Berg. Heute verändern insbesondere republikanische Gouverneure in den Bundesstaaten die Wahlgesetze so, dass es Schwarzen und Hispanics deutlich erschwert wird, ihr Wahlrecht geltend zu machen. Aber das ist natürlich überhaupt nicht rassistisch, sondern soll „Wahlbetrug vorbeugen“.

Der Protest verhallt

Auch dass die Polizei unbewaffnete Schwarze erschießt, verteidigt niemand offen. Aber den Rechtfertigungen und Entschuldigungen wird so viel Glauben geschenkt, dass kaum Polizisten je dafür belangt werden. Das System funktioniert auf eine Art, dass im Ergebnis viele Streifenpolizisten agieren, als hätten sie von der Kritik an überzogener Polizeigewalt noch nie etwas gehört.

Bürgerrechtsorganisationen prangern regelmäßig an, dass Schwarze noch immer weit entfernt davon sind, die gleichen ökonomischen Chancen zu haben, und viel häufiger wegen der gleichen Delikte im Gefängnis landen als Weiße. Aber das war es dann auch. Die unter Barack Obama zaghaft begonnenen Versuche einer Justizreform sind unter der Regierung Trump längst beerdigt.

Wenn aber Protest und Kritik, obwohl machtvoll vorgetragen, überhaupt nicht zu Veränderungen in der Praxis führen, weil ein offizieller Diskurs angeblicher Gleichberechtigung alles zudeckt, dann ist dieser heutige Gegner schwerer zu knacken als ein George Wallace 1965.

50 Jahre nach dem Tod Martin Luther Kings hat sich sein Traum vom Leben gewandelt. Er ist zum Traum vom Überleben geworden. Der Rassismus tritt nicht mehr mit Schaum vor dem Mund auf. Aber er ist überall.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

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