Und der Papst schweigt weiter

Kanadas Ureinwohner hofften auf eine Entschuldigung für 100 Jahre Zwangsassimilation

Aus Vancouver Jörg Michel

Es ist eines der dunkelsten Kapitel in Kanadas Geschichte: Mehr als 150.000 Ureinwohnerkinder wurden zwischen 1883 und 1996 auf Geheiß des Staates in Internate gesteckt, um dort ihre indigene Kultur zu tilgen und sie zwangsweise in der weißen Gesellschaft zu assimilieren.

Für viele Kinder waren die Schulen, die vom Staat finanziert und von den Kirchen betrieben wurden, furchtbare Orte. Die Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und durften ihre indigenen Sprachen nicht gebrauchen. Schläge, Erniedrigungen und Missbrauch gehörten für sie zum Alltag.

Über 6.000 Kinder überlebten die Qualen nicht. Sie starben an den Folgen der Einsamkeit, der kulturellen Entfremdung, der physischen Gewalt. Viele betroffene Familien leiden noch heute unter den Spätfolgen: In den meisten indigenen Dörfern Kanadas sind die Selbstmordraten höher als im Rest des Landes.

Eine kanadische Wahrheits- und Versöhnungskommission hatte vor drei Jahren von einem „kulturellen Völkermord“ in den Internaten des Landes gesprochen und den Papst aufgefordert, sich für die Rolle der Kirche zu entschuldigen. Die katholische Kirche betrieb rund zwei Drittel der 130 fraglichen Schulen.

Eine solche persönliche Entschuldigung hat Papst Franziskus jetzt abgelehnt. Zwar sei sich der Papst der Forderung bewusst und nehme diese auch ernst, schrieb der Vorsitzende der kanadischen Bischofskonferenz, Lionel Gendron, kurz vor Ostern in einem offenen Brief an die Ureinwohner Kanadas.

„Nach sorgfältiger Abwägung und nach ausführlichen Konsultationen mit den Bischöfen Kanadas hat der Papst aber entschieden, dieser Bitte nicht persönlich entsprechen zu können“, heißt es in dem Brief weiter. Zu den genauen Gründen für die Ablehnung machte der Brief keine Angaben.Gendron wies jedoch darauf hin, dass sich der Papst weltweit weiter leidenschaftlich für die Belange der indigenen Völker einsetze und sich auch nicht scheue, Unrecht beim Namen zu nennen. Kanadas Bischöfe würden den Prozess der Versöhnung mit den Ureinwohnern auf pastoraler Ebene fortsetzen.

Trudeau ist enttäuscht

Die Kirche steht auf dem Standpunkt, nicht als Ganzes verantwortlich zu sein. Laut Bischofskonferenz seien nur 16 der 70 kanadischen Diözesen sowie drei Orden mit den Internaten befasst gewesen und jede Einheit habe selbstverantwortlich gehandelt. Zudem befürchtet die Kirche Medienberichten zufolge Schadenersatzansprüche von Betroffenen.

In Kanada hat die Entscheidung des Papstes Bedauern, zum Teil Empörung ausgelöst. Premierminister Justin Trudeau sagte in Ottawa, er sei enttäuscht und habe sich eine andere Entscheidung gewünscht. Trudeau hatte vor einigen Monaten bei einem Besuch im Vatikan persönlich beim Papst für eine Entschuldigung geworben.

Die kanadische Regierung selbst hatte sich bereits vor zehn Jahren im Unterhaus offiziell für die Einrichtung der Internate entschuldigt. Andere an den Internaten beteiligte Kirchen haben in den 1990er Jahren offizielle Entschuldigungen ausgesprochen, darunter auch die anglikanische Kirche.

Der Oberhäuptling der kanadischen Ureinwohner, Perry Bellegarde, nannte die päpstliche Absage bedauerlich. „Eine Entschuldigung vom Papst wäre ein wichtiges Zeichen der Heilung und der Versöhnung gewesen“, so Bellegarde. Man werde weiter versuchen, den Vatikan zu überzeugen.

Von einem „Schlag ins Gesicht“ sprach im Sender CBC Peter Yellowquill, der einst selbst eines der Internate besuchen musste. Yellowquill ist einer von rund 80.000 ehemaligen Schülern, die heute noch am Leben sind. Rund 32.000 haben mittlerweile finanzielle Entschädigungen des Staates erhalten.