Spaß am Weltuntergang

Böse Dinge offenlegen, das liegt der Regisseurin Johanna Wehner. Im Schauspielhaus Bochum adaptierte sie nun Lars von Triers „Melancholia“

„Melancholia“ im Schauspielhaus Bochum Foto: Thomas Aurin

Von Benjamin Trilling

Schatten irrlichtern im Nebel und durch Scheinwerferkegel. Sie poltern wie verrückt, um die vermeintlich Kranke zu wecken. Der Hochzeitsplan ist in Gefahr. Hysterisches Schreien. Bis die depressive Justine (Kristina Peters) wach ist. Das letzte Treiben rund um die erschöpfte Braut, bevor der laute Vorbeiflug des Planeten „Melancholia“ den Saal in ein grelles Lichtermeer taucht.

Das dröhnt bis nach oben ins Foyer des Schauspielhauses in Bochum, wo sich Johanna Wehner am Nachmittag vor der Premiere Zeit für ein Gespräch nimmt. Sie schmunzelt, als sie den Lärm der letzten Proben hört. Ja, den Weltuntergang zu inszenieren, mache Spaß, gesteht sie über diesen Kollaps einer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern so einiges abverlangt. „Sinnvakuum“ oder „Erschöpfungsgesellschaft“, das waren die Diskursfetzen, mit denen sie bei den Regieanweisungen jonglierte.

Ein roter Faden, der sich durch ihre Arbeit zieht: unüberwindbare Hürden, die individuelle Sehnsüchte durchkreuzen. Etwa in der Jagd auf die Ehebrecherin Irene Wagner in der gleichnamigen Adaption von Arnold Zweigs Novelle „Angst“. Das war im Sommer 2014, als Wehner, geboren 1981, im Rahmen des ersten Regiestudios im Schauspiel Frankfurt inszenierte. Neben den damals ebenso vielversprechenden Nachwuchs-Regisseuren Alexander Eisenach und Ersan Mondtag. Vor allem Mondtag wird seitdem sehr beachtet. Zu beiden pflegt Wehner regelmäßigen Kontakt.

Vergangenen November wurde ihre Inszenierung der „Orestie“ am Staatstheater Kassel mit dem Theaterpreis „Faust“ in der Kategorie beste „Regie Schauspiel“ ausgezeichnet. Seitdem steht auch die gebürtige Bonnerin in der ersten Regie-Reihe. Das zog die Aufmerksamkeit vieler Spielstätten nach sich. Das Schauspielhaus Bochum fragte an. Aus der ursprünglichen Idee, gemeinsam einen „klassischen Frauenstoff“ zu bearbeiten, wollte Wehner mehr machen: komplexe Gedanken schnüren, den Diskurs mit den Mitteln des Theaters fortspinnen. „Weg vom Label, hin zum Existenziellen“, sagt sie. Einen Ansatz dafür fand sie ausgerechnet bei Lars von Trier, der eher als plakativ und provokant gilt. „Die Dinge werden bei ihm so böse dargestellt, dass sie wiederum offengelegt werden.“

Böse die Dinge offenlegen, dass trifft ebenso auf ihre Adaption in Bochum zu. Die Hochzeitsgäste stecken in schäbigen Sakkos oder Glitzerkleidchen, das ist eine Garderobe von Karikaturen. Wehner lässt sie chorisch jene Wortschleifen in die Leere rezitieren, die Kristina Peters Justine (im Film von Kirsten Dunst gespielt) mit der existenziellen Aufmerksamkeit einer Depressiven hinterfragt.

Dieser Horror Vacui, den Kristina Peters zurückhaltend verkörpert, als würde sie im feierlichen Kleid untergehen, ist eine der Verschiebungen in dieser Bühnenbearbeitung. „Ich habe sie nie als depressive Frau gelesen“, erklärt Wehner. Im Gegenteil, eine Frage lässt sie Justine immer wieder dieser lärmend-müden Leistungsgesellschaft entgegenhalten: „Vermisst du nicht irgendwas?“. Ihrem Verlobten Michael (Matthias Eberle), ein Idiot, der mit Satzhülsen wie „Ich liebe dich so sehr!“ um sich schmeißt. Ihrer Schwester, die Johanna Eiworth, im Gegensatz zur subtilen Charlotte Gainsbourg im Film, als stampfende Wedding-Planerin gibt.

Was ist die Norm? Um das zu hinterfragen, lässt Wehner auch Mitglieder von dorisdean, ein Ensemble aus Performer*innen mit unterschiedlichen Körperlichkeiten, auftreten. Was passiert denen, die beim vorgebenden Takt und Tempo nicht mithalten können? Und bewegen wir uns nur noch in einer sinnleeren Schleife? Wehner gestikuliert mit den Händen, wenn es philosophisch wird: „Ich werde tot sein. Du wirst tot sein. Wir alle teilen das.“ So ist dieser todbringende Stern „Melancholia“ in ihrer Inszenierung eine existenzielle Zeitbombe, der jeder irgendwann begegnet.

Und das bürgerliche Dasein, das Justine auf der Leinwand an die Wand fährt, ist hier bereits eine dystopische Trümmerlandschaft: Eine riesige, zerschmetterte Kugel, dem torpedierten „Todesstern“ aus „Star Wars“ ähnlich, ragt und dreht sich im Raum (ein überwältigendes Bühnenbild von Volker Hintermeier). Die Katastrophe ist längst da. Nur, das ist die böse Komik an diesem Weltuntergang, merkt dieser gespenstische Hochzeitshaufen das nicht, wenn er sich einer leeren Sprachpartitur bedient und damit jede menschliche Begegnung verfehlt. Die letzten Worte werden zum Mitsagen in den Saal geraunt: „Auf das – Leben!“