Wortmensch als Electronica-Knöpfchendreher

Am Freitagabend überzeugte Andreas Spechtl – unterstützt vom Teheraner Experimentalmusiker Saba Alizadeh – im HAU 2

Von Stephanie Grimm

Auf seinem aktuellen Album „Thinking About Tomorrow, And How To Build It“ ist Andreas Spechtl fast verstummt. Das ist insofern bemerkenswert, als sich der umtriebige Musiker gerne als „Textmensch“ bezeichnet. Neben diversen Projekten – unter anderem arbeitet er mit der Songwriterin Christiane Rösinger und der Band Die Türen zusammen – ist Spechtl schließlich Sänger der aus Österreich stammenden, in Berlin ansässigen Band Ja, Panik. Und deren Output kann man durchaus als textlastig, ja fast als Textungetüm bezeichnen. Mit seinem Solodebüt „Sleep“ (2015) hatte er dann schon einmal versucht, eine Instrumentalplatte zu machen – und, so erklärte er damals, brauchte dann doch Worte, „um mir selbst meine Musik zu erklären“.

Sein zweites Soloalbum, besagtes „Thinking About Tomorrow …“, ist aus einem zweimonatigen Aufenthalt in Teheran im vorletzten Winter hervorgegangen. Bei der Arbeit hat es ihm, von wenigen Textpassagen abgesehen, dann wirklich die Sprache verschlagen – auch weil Gespräche auf Englisch im Iran eben nur in bestimmten Milieus möglich sind. Statt Wortgewalt und dem ihm eigenen, oft recht tonlos vorgetragenen Sprachmix aus Deutsch und Englisch gab es ambientartige Synthesizerflächen und verstolperte Beats: „Ich versteh kein Wort, versteh kein Wort / Und trotzdem too many answer“ heißt es im Song „African Blvd“ – eine schöne Umschreibung des Zustands, der sich einstellt, wenn die Gedanken im Kopf Karussell fahren, weil man keine Gelegenheit bekommt, sie zu artikulieren.

Als Spechtl am Freitagabend – unterstützt vom Teheraner Experimentalmusiker Saba Ali­zadeh, Sohn des berühmten Komponisten Hossein Alizadeh – auf der spärlich beleuchteten Bühne des HAU 2 stand, hatte er dann aber seine Stimme wiedergefunden. Was durchaus erfreulich war! Schließlich erwiesen sich die Stücke, die über frickelige Electronica-Spielereien und ambientartige Soundflächen hinausgingen, an diesem Abend als die stärkeren.

Da war es dann auch fast zweitrangig, ob dieser Mehrwert durch Gesang, den Einsatz ungewöhnlicher Instrumente wie Alizadehs Kaman­tsche, einer iranischen Variante der Stachelgeige, oder Field Recordings zustande kam. Letztere hatte Spechtl im Iran aufgenommen, was, wie er in Interviews berichtete, ein heikles Unterfangen war. Die politische Situation lasse es kaum zu, sich im öffentlichen Raum mit Aufnahmegerät zu bewegen. Und sowieso fände das interessante Leben dort in Innenräumen statt.

Das spannungsreiche Verhältnis zwischen Außen und Innen, zwischen dem privaten und dem öffentlichen Leben, hört man auch den einzelnen Tracks an, etwa wenn gleich im zweiten Song die Textzeile „Don’t you touch me“ zu einem „Don’t you judge me“ mutiert. Oder wenn die live wirklich atmosphärisch wirkenden Field Recordings um unterschwelliges Gebritzel ergänzt wurden. Einen interessanten Effekt erzeugt auch ein sogenanntes Zanjir, das Alizadeh über dem Mikrofon schüttelte. Das klingt nicht nur gut, sondern ist auch visuell eindrucksvoll: Schließlich handelt es sich dabei nicht um ein Musikinstrument, sondern um eine Kette mit vielen Strängen, die in religiösen Kontexten zur Selbstgeißelung benutzt wird.

Trotz dieser Einlage und einiger weitere East-meets-West-Soundexperimente ist der Abend alles andere als eine Fusion im Weltmusikstil. Ein munterer Culture Clash würde auch kaum zum diskursaffinen Spechtl passen.

Zum Auftakt und am Ende des Auftritts spielen er und Alizadeh zusammen ein paar Songs, zwischendurch stehen die beiden für ein jeweils eigenes Set auf der Bühne. Obwohl das eher kurz ist, weist es zumindest bei Spechtl ein paar Längen auf. Vielleicht muss man sich an den Wortmenschen als verfrickelten Electronica-Knöpfchendreher einfach noch gewöhnen.