Leistungsschau der Ideen

Die Zukunft der Arbeit stand im Mittelpunkt des großen taz-Kongresses im Berliner Haus der Kulturen. Heraus kam eine Leistungsschau an Argumenten und Ideen. Und, ja, so ein Thema kann auch Spaß machen

Mit positivem Menschenbild dabei: FDP-Chef Christian Lindner (links) Foto: Thielker

Von Ariane Lemmeund Lin Hierse(Text),Karsten Thielkerund Wolfgang Borrs (Fotos)

Wenn die taz einen Tag lang über die Zukunft der Arbeit nachdenkt, ist es schon in Ordnung, beim Urschleim anzufangen. Also bei Marx, klar. Gleich morgens um neun, als die ersten Besucher zum Berliner taz lab taumeln, geht es um Leistung – als gesellschaftliches Prinzip und als historischer Begriff.

„Bei Hartz IV fehlt der Anreiz, am Wettbewerbsspiel teilzunehmen“

Christian Lindner, FDP-Chef

Wenn Klaus Lederer, Berliner Linkspartei-Chef, und die Historikerin Nina Verheyen über Leistungsfetisch diskutieren, ist nicht immer klar, ob sie dasselbe meinen. Manchmal zerfasern ihre Definitionen, sie bringen Begriffe wie „Hilfe leisten“ gegen „Leistung ist Arbeit pro Zeit“ in Stellung. Dabei könnte es so einfach sein: Verheyen will den Begriff erweitern, Lederer ihn als Kampfbegriff enttarnen, der verschleiert, dass Prekäre und Erfolgreiche nur scheinbar gegeneinander kämpfen. „Die Arbeiterklasse hat den Begriff nie infrage gestellt, sie kann deshalb gar nicht revolutionär sein oder die Lohnarbeit befreien“, sagt Lederer.

Ganz schön viel los hier: Rund 2.000 Besucher kamen zum taz-lab nach Berlin Foto: Thielker

Verheyen widerspricht: „Leistungsorientiert waren auch nichtkapitalistische Gesellschaften wie die DDR oder die Sowjetunion.“ Kann Leistung nicht auch emanzipatorisch sein, ein Instrument der Selbstermächtigung oder gar sinnstiftend, als Arbeit für andere? Aber Verheyen kann mit ihrem Plädoyer, den Leistungsbegriff lieber zu reformieren, statt ihn zu kritisieren, wenig gegen Lederer ausrichten. Sie bleibt argumentativ zu sehr in der Utopie statt im Hier und Jetzt.

Das Ganze funktioniert trotzdem bestens als theoretischer Grundkurs für den Tag, der sich nicht nur dem Wandel, sondern vor allem auch der Verdrängung der Arbeit widmet. Wenn Roboter übernehmen, was ist der arbeitsbefreite Mensch dann noch wert? Woran, wenn nicht an seiner Arbeit, soll dann der Menschen gemessen werden? Nicht umsonst löst das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens auch bei manchen Linken Unbehagen aus.

Auch ein Kongress zum Thema Arbeit braucht mal eine Arbeitspause. Das Haus der Kulturen der Welt liegt praktischerweise mitten im Tiergarten Foto: Thielker

Nicht aber bei Katja Kipping, die mit dem Grünen Boris Palmer diskutiert. „Das Grundeinkommen ist mit links zu machen“, sagt sie, am besten gleich ein globales. Das funktioniere aber nur, wenn es eine Kulturrevolution gebe, die die Erwerbsarbeit zwar nicht abschafft, aber andere Formen der Arbeit – politisches Engagement, Ehrenamt, Kindererziehung – aufwertet. Auch Palmer ist dafür, wenn auch „nur für Menschen mit deutschem Pass“. Für jemand, der sich wie er über Arbeit definiere, sei das Grundeinkommen eine gute Antwort auf die Sinnkrise, die er befürchtet, wenn Roboter die besseren Ärzte geworden sind.

Standes­gemäße Eröffnung des taz-lab mit Musik: Kristina Jean Hayes stimmt den taz-Chor ein Foto: Borrs

Palmer glaubt an das Gute im Menschen. Auch Christian Lindner, der sich den Fragen von Peter Unfried stellt, sagt, er habe ein positives Menschenbild: „Ich glaube weder, wie Linke, dass der Mensch ängstlich und anleitungsbedürftig ist, noch, wie Rechte, dass er böse und verführbar ist.“ Hartz IV bezeichnet Lindner als „extrem leistungsfeindlich. Da ist man mit einem Bein schnell im Sozialleistungsbetrug.“ Jungen Menschen, denen der Staat quasi eine Rente ab Geburt verspreche, sieht er an ihrer Entfaltung gehindert. „Da fehlt der Anreiz, am Wettbewerbsspiel teilzunehmen.“

„Grundeinkommen ist machbar“: Linksparteri-Chefin Katja Kipping Foto: Borrs

Gut, das ist das, was man von der FDP erwartet. Lindner weiß, dass man wenig Kritisches über seine Performance wird schreiben können. Das „Gesamtpaket Lindner“ wirkt glaubwürdig. Sich vor diesem Publikum über die AfD auszulassen, über das neue Heimatministerium zu lachen und Position gegen Donald Trump zu beziehen ist allerdings auch einfach. Ohnehin hat Lindner beim taz lab nichts zu verlieren.

Habitus, das bleibt am Ende die Erkenntnis, ist vielleicht das, was noch vor dem Leistungsprinzip überwunden oder neu gedacht werden sollte – zumindest als von Männern beherrschte Fähigkeit. Während die Frauen – Verheyen – verblassten oder sich – Kipping – über den Mund fahren ließen, konnten sich Lederer, Palmer, Lindner und Grünen-Chef Habeck mühelos und tiefenentspannt verkaufen. Was für eine Leistung!