Ismail Ismail
Im Augenblick
: Die Sache mit dem guten Journalismus

Foto: Omar Akahare

Seitdem ich in Lüneburg bin, also seit ungefähr vier Jahren, habe ich hier und auch in Hamburg verschiedene Seminare, Fortbildungen und Workshops zum Thema Medien besucht. Den letzten Workshop fand ich am heftigsten, wohl vor allem, weil er alte Erinnerungen bei mir wachgerufen hat.

Auch bei den anderen Workshops wurde uns fast immer vermittelt, wie wir Likes und Clicks für unsere Beiträge sammeln können, und wie die Zuschauer*innen oder Leser*innen den Inhalt bestimmen können, denn ihnen sollte der Beitrag gefallen, damit sie ihn dann auch kaufen oder wenigsten „liken“: Letztlich geben sie das Geld – oder wenigstens kommt aufgrund ihrer Clicks das Geld aus der Werbung.

Demnach wäre schließlich das Geheimnis des guten Journalismus – dass er gelikt wird. Je mehr Likes und Clicks, desto wertvoller der Beitrag. Deshalb müsste sein Motto heißen : „Die Leser*innen haben immer recht.“

Beim letzten Workshop ging die Referentin noch ein kleines Stück weiter mit der „Klicks-Begierde“. Im Workshop sollten wir die Basics für Mobile Reporting lernen, also wie man Videoreportagen mit dem Smartphone produziert. Wir erfuhren, welche Equipments dafür nötig sind, wie wir die Kamera einstellen und so weiter. Sie war sehr sympathisch und super engagiert und hat alle Fragen von den Teilnehmer*innen umfangreich beantwortet. Doch das Neue bei ihr war die Wiederholung von gefilmten Szenen. Ihrer Meinung nach ist es in Ordnung, die interviewte Person zu bitten, ihre Aussagen so lange zu wiederholen, bis uns eine „gute“ Reportage gelungen ist.

„Oh!“ – war meine Reaktion, das habe ich schon mal gehört, oder genauer gesagt, ich habe eine ähnliche Situation erlebt, in Erbil. In der kurdischen Stadt im Irak war ich 2013 gerade zum zweiten Mal illegal angekommen und von den Polizisten in das Flüchtlingscamp gebracht worden. In dem Camp waren Tausende Syrer*innen, meist aus den kurdischen Gebieten in Syrien geflohen.

Die Hilfsorganisation stellte mir ein Zelt, Gasherd, Decken und viele andere Sachen, die Mensch in solchen Notfällen braucht, zur Verfügung, obwohl ich mehrmals gesagt hatte, dass ich in wenigen Stunden die Erlaubnis kriege, das Camp zu verlassen, da ich schon in Erbil studierte. Müde vom Erklären nahm ich die Sachen, und bekam Hilfe beim Aufbau des Zeltes. In das legte ich mich, um mich vor der brennenden Sonne zu schützen. Draußen setzten sich ein paar Menschen in den Schatten meines Zeltes, zu denen nach kurzer Zeit ein Journalist kam, der bei einem damals jüngeren TV-Sender arbeitete. Er wollte die Menschen zur Ursache ihrer Flucht interviewen.

Auf die Frage, warum sie geflohen seien, antwortete einer von denen seufzend: „In Syrien herrscht längst Krieg, das Leben ist dadurch sehr schwer geworden und es gibt kaum mehr Arbeit.“ Das sei die Ursache dafür, dass vielen das notwendige Geld für den Lebensunterhalt fehlt, und außerdem gebe es weder Strom noch fließend Wasser.

„Nein! Nein! Nein!“, sagte der Journalist, „die PYD, die demokratische Partei der Kurden in Syrien, die macht euch doch dort das Leben schwer, oder? Und sie haben euch dazu getrieben, das Land zu verlassen, okay Bruder? Hätten sie dort nicht regiert, hätten die Menschen nicht fliehen müssen – sag es besser so“, forderte er den Interviewpartner auf. „Das wird dir hier sicherlich helfen! Und nun lass’uns noch mal filmen.“

Die Sonne brannte nicht mehr, aber etwas in mir fing an zu brennen. Heute lächle ich, wenn ich sehe, wie berühmt dieser Journalist und sein TV-Sender geworden sind.

Ismail Ismail pendelt zwischen Lüneburg, Oldenburg und Hannover, wo er sich auf sein Studium vorbereitet. Was ihm unterwegs widerfährt und wem er begegnet, schreibt er hier auf.