So was kann schon mal dauern

Das f(t)-Festival präsentiert am Samstag und Sonntag im Radialsystem „alternative musikalische Zeitgestaltungen“

Künstlerischer Leiter: Stefan GoldmannFoto: Stefan Botev

Von Robert Mießner

„Um dieses Motiv achthundertvierzigmal zu spielen, wird es gut sein, sich darauf vorzubereiten, und zwar in größter Stille, mit ernster Regungslosigkeit“, riet der französische Komponist Erik Satie potentiellen Interpreten seiner circa 1893 entstandenen Komposition „Vexations“. Ob diese Empfehlung am oberen Rand der aus nur einer Seite bestehenden Partitur ernst gemeint war, ist umstritten. Als gesichert kann gelten, dass Saties an sich aus einem einfachen, melodiösen Thema und zahlreichen Tonartensprüngen in der nur 13 Zählzeiten umfassenden Melodie bestehendes Stück zu den längsten der Musikgeschichte zählt und Mitte des vorigen Jahrhunderts John Cages Interesse weckte.

Cage wiederum, Komponist auf der Suche nach Absichtslosigkeit, brachte die „Vexations“ 1963 gemeinsam mit mehreren Pianisten zur Uraufführung und diese es auf eine Dauer von knapp 19 Stunden. Cages Werk selbst sollte das noch übertreffen: seit 2001 spielt in Halberstadt seine Komposition „ORGAN²/ASLSP“, deren Aufführung im Jahr 2640 enden soll. Wie es dann am Spreeufer zwischen Jannowitzbrücke und Ostbahnhof ausschauen wird, wir wissen es nicht. Als gesichert kann gelten, dass Saties „Vexations“ dort an diesem Wochenende in einer Version zu hören sein werden, die dem Komponisten, eine gewisse Schalkhaftigkeit darf ihm unterstellt werden, gefallen könnte. „Jeder wird ihnen sagen, ich sei kein Musiker. Das stimmt“, schrieb Satie.

Auf dem f(t)-Festival im Radialsystem wird ein mechanisches Klavier die „Vexations“ in einem beide Veranstaltungsabende umklammernden Loop spielen. „f(t)“ steht für „Zeitfunktion“ und soll, wie es in der Ankündigung heißt, „alternative musikalische Zeitgestaltungen in den Fokus“ rücken. Der Ort dafür ist gut gewählt: Kernstück des Radialsystems ist die denkmalgeschützte Maschinenhalle des zwischen 1879 und 1880 erbautem Abwasserpumpwerks V in der Holzmarktstraße. Ab 1906 entsorgte es die Abwässer von 400.000 Einwohnern der Bezirke Mitte und Friedrichshain. Hier wurde Lebens- und Arbeitszeit verbracht.

Die nun anstehende Wochenendschicht, um im Bild zu bleiben, übernehmen 20 Künstler und Musikensembles aus elf Staaten mit Konzerten, DJ-Sets und Videoinstallationen. Stefan Goldmann, Berliner Komponist, DJ und künstlerischer Leiter des Festivals, fragt: „Auf wie viele Arten lässt sich musikalische Zeit strukturieren, wenn man sich nur ein wenig vom Üblichen wegbewegt?“ Er gibt eine hoffnungsvolle Antwort, wenn er gleich darauf anfügt: „Siehe da: es gibt so viele Möglichkeiten.“

Eine davon ließ sich bereits vor zwei Jahren hören, als im Radialsystem Goldmanns Klanginstallation „alif“ aufgeführt wurde. Eine Art „experimenteller Oper“, gemeinsam mit der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota, dem palästinensisch-israelischen Komponisten Samir Odeh-Tamimi, dem Blockflöten-Virtuosen Jeremias Schwarzer und dem Zafraan Ensemble.

„Dabei haben wir diesen Ort erst so richtig begriffen und damals ja sogar den Keller dafür genutzt“, erinnert sich Goldmann. Seine Komposition „HMS Solitude“ ist ein Beispiel dafür, wie das tönte: Für zwei Minuten und zwanzig Sekunden verzahnt er darin verschiedene alarm- und signalartige Sounds, in die sich Glockenklänge und ein dezent klopfender Beat mischen, der einem metallischen Schaben Platz macht, einem Unwetter gleich, welches das Stück beschließt. Im Juni dieses Jahres wird es auf dem Album „Tacit Script“ erscheinen.

Reiz der Unregelmäßigkeit

Goldmann, geprägt von Metal, Jazz und Techno, meint: „Es gibt all diese tollen Taktarten, aber wir hören immer nur 4/4 – selbst in dem, was sich Broken Beat nennt. Das ist erstaunlich.“ Der Wegbewegung davon hat sich sein Festival verschrieben, es bringt Alte und Neue Musik gemeinsam auf die Bühne, Künstler wie die Harfenistin Margret Köll mit der Techno-Liveband Elektro Guzzi. Das Sonar Quartett wird Morton Feldmans fünfstündiges Streichquartett Nr. 2 spielen, der Dubstep-Musiker Shackleton zeigen, welch sinnlicher Reiz in der Unregelmäßigkeit, der Unterbrechung des Zeitmaßes liegt.

Das alles am Ufer der Spree, die mit einer Geschwindigkeit von circa neun Zentimetern pro Sekunde am Radialsystem vorbeifließt. Langsam, gewiss; dabei stetig und nie ganz regelmäßig. Und so, wie John Cage feststellte, dass es die absolute Stille nicht geben kann, sagt Goldmann: „Die Lage am Fluss passt natürlich hervorragend. Dinge, die sich wiederholen, bleiben nun mal nicht gleich. Kognitionspsychologisch betrachtet kann man, wie in den Fluss, auch nicht zweimal in den gleichen Loop einsteigen.“

„f (t) festival: Zeitfunktion“, Radialsystem, 28.-29. April