Wer tritt gegen Erdoğan an?

Türkische Opposition sucht einen Kandidaten, der den Präsidenten bei den Wahlen herausfordert

Von Jürgen Gottschlich, Athen

Seit klar ist, dass in der Türkei bereits in sechs Wochen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden werden, sucht die Opposition intensiv nach einem gemeinsamen Gegenkandidaten zu Recep Tayyip Erdoğan. Das ist schwierig, weil die politische Ausrichtung von der links-kurdischen HDP bis zu der islamistischen Saadet-Partei reicht. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die sozialdemokratisch-kemalistische CHP als größte Oppositionspartei und die neu gegründete rechtsnationale İyi-Partei (Gute Partei), eine Abspaltung von der rechtsextremen MHP, die eine Wahlallianz mit Erdoğan geschlossen hat.

In einem ersten Manöver hat der CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu dafür gesorgt, dass die İyi-Partei von Meral Akşener nicht aus formalen Gründen von der Wahl ausgeschlossen werden konnte. Zum Ärger von Erdoğan verließen 15 Abgeordnete der CHP die Partei und schlossen sich der İyi-Partei an, damit diese genug Abgeordnete hat, um eine Fraktion bilden zu können und sicher an den Wahlen teilnehmen kann. Die Parteivorsitzende Meral Akşener hat das Potenzial, die MHP zu spalten und damit Erdoğans Koalitionspartner deutlich zu schwächen. Sie ist deshalb wichtig für eine Oppositionsallianz.

Ausgerechnet die islamistische Saadet-Partei ist nun die Erste, die einen gemeinsamen Oppositionskandidaten vorgeschlagen hat, und zwar den ehemaligen Präsidenten und Mitbegründer der AKP, Abdullah Gül. Gül ist angeblich mit Erdoğan zerstritten, weil dieser verhinderte, dass Gül nach seiner Präsidentschaft Vorsitzender der AKP wurde. Gül gilt als moderatere Variante von Erdoğan und wird im Hintergrund vom Unternehmerverband TÜSIAD und angeblich auch von einigen westlichen Diplomaten zu einer Kandidatur gedrängt.

Gül ist aber so sehr AKP-Mann, dass etliche CHP-Abgeordnete und auch die Vorsitzende der İyi-Partei ihn als gemeinsamen Kandidaten ablehnen. Meral Akşener schlägt vor, dass jede Partei in der ersten Wahlrunde mit einem eigenen Kandidaten antritt und sich erst für die Stichwahl auf einen gemeinsamen Kandidaten einigt.

Der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu scheint aber von der Idee, Gül zu nominieren, überzeugt. Er will, dass Gül lediglich für das gemeinsame Ziel antritt, die Präsidialverfassung abzuschaffen und der Rückkehr zum parlamentarischen System den Weg zu ebnen. Die Überlegung dabei ist, auch potenzielle AKP-Wähler dafür gewinnen zu können. Innerhalb seiner Partei stößt er damit auf heftige Kritik.

Die CHP-Fraktionsvize Özgür Özel nannte die mögliche Kandidatur von Gül eine Gespensterdebatte, um ihre Partei zu schwächen. Der Abgeordnete Muharrem İnce sagte, Gül sei ein trojanisches Pferd der AKP, um die Opposition zu schwächen. Tatsächlich ist unklar, wie weit der Bruch zwischen Gül und Erdoğan wirklich geht. Gül ist eng vernetzt mit anderen AKP-Größen wie dem früheren Premier Ahmet Davutoğlu, die alle noch Kontakt zu Erdoğan haben. Auch Gül ist bislang immer abgetaucht, wenn es galt, Erdoğan öffentlich zu widersprechen. „Gül ist Verrat an der CHP“, war deshalb am Mittwoch der „trend topic“ auf Twitter.