ausgehen und rumstehen
: Diesseits der Dancefloor, jenseits die Apokalypse

„This ain’t no party

This ain’t no disco

This ain’t no fooling around

No time for dancing

Or lovey dovey

I ain’t got time for that now …“

Talking Heads, 1979

Als Amerikanerin, die in Berlin lebt, war es in der vergangenen Woche schwierig, ans Tanzengehen oder Spaßhaben zu denken. Welle auf Welle schlugen die Neuigkeiten aus Amerika über einem zusammen, und man konnte sich des Gefühls nicht erwehren, als würde das alte Leben auf der anderen Seite des Ozeans Stück für Stück wegbrechen. Statt der Adressen von Clubs begann ich mir die Adressen von Internet-Cafés zu merken, für den Fall, dass ich mitten in der Nacht die amerikanischen Nachrichten lesen müsste.

Aber welches Recht hatte ich überhaupt, die ganze Nacht in der Panoramabar zu feiern, während im Astrodome die Menschen starben? Eigentlich hatte ich am Samstag zu DJ Dominik Eulberg ins Sternradio gehen wollen, stattdessen schaute ich mir die ganze Nacht die BBC-Nachrichten auf meinem kleinen Fernseher an und sah fassungslos, wie ein Reporter das Szenario in New Orleans als „Venedig in der Hölle“ beschrieb. Mir fiel ein Freund in New Orleans ein. Hoffentlich geht es ihm gut, dachte ich. Kurze Zeit später bekam ich von ihm eine Mail: „Ich bin nach Houston geflohen – hab meine 38er dabei und meinen Bronco. Nobody’s fucking with me.“

Ich dachte: ist das Amerika oder Bangladesch? Wenn man Nachrichten schaute, konnte man es kaum auseinander halten. Ich begann mich krank zu fühlen. Ich wollte nicht mehr ausgehen. Ich wollte im Bett bleiben, Suppe essen, Tee trinken und Zeitung lesen. Aber der Samstag war so ein schöner Tag, dass ich dann doch nach Kreuzberg fuhr: zum Suppenfest. Hunderte von Leuten drängelten sich durch die Straßen rund um das Schlesische Tor, alle verrückt nach Suppe. Was tatsächlich eines der erstaunlichen Dinge an Berlin ist: Aus dem Nichts entsteht immer eine Party, selbst wenn es nur um Suppe geht. Ich trank ein Bier und ging zum Badeschiff an der Eichenstraße und sah den Punks beim Schwimmen zu, während ein DJ Techno auflegte.

Am nächsten Tag rief mich mein Bruder aus New York an: „Hast du gehört, dass Rehnquist gestorben ist?“ Also noch ein Posten am Obersten Gericht, der frei wird, auf dass Bush ihn mit einem rechten Fundamentalisten besetzen kann. Dann erzählte mein Bruder, dass sich innerhalb einer Woche die Benzinpreise verdoppelt hätten. Alles fühle sich immer apokalyptischer an. Mir war immer weniger nach tanzen zu Mute.

Dabei verhandeln einige der größten Dancefloorhymnen das Gefühl von Apokalypse: „Disco Inferno“ von den Trammps, Michael Jacksons „Thriller“. Viele Techno- oder Electrostücke aus Detroit sind aus dem Gefühl der Paranoia heraus konstruiert – von Cybotrons „Alleys of Your Mind“ aus den frühen Achtzigern bis zum Underground-Resistance-Sound der Neunziger. Verzweifelte Zeiten rufen nach verzweifelter Musik.

Vielleicht ist tanzen also doch das Richtige. Zwar fühlte ich mich immer noch nicht entsprechend, aber ich warf einen Blick aus dem Fenster an der Prenzlauer Allee und sah, dass auf der anderen Straßenseite beim Planetarium eine riesige Party stattfand. Hunderte von Leuten tanzten in der Sonne zu Minimal Techno und House. Das ist das Schöne an Berlin. Selbst wenn man sich überhaupt nicht danach fühlt – Berlin bringt einem die Party bis vor die Haustür. GEETA DAYAL

Die Autorin arbeitet u. a. für die ‚Village Voice‘ und die ‚New York Times‘ und ist zur Zeit in der Kulturredaktion der taz zu Gast