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: Zwei Unrechtssysteme

Fußball bleibt mit und ohne Videobeweis ungerecht. Kann das Amtsgericht in Aue helfen?

Gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit im Fußball scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Ob mit Videobeweis wie in der ersten Liga oder ohne Videobeweis wie in der zweiten Liga, der Kampf gegen die Ungerechtigkeit will kein Ende nehmen.

Seit Sonntag wird dieser Kampf intensiv aus Aue geführt. Der dortige parteilose Stadtrat Tobias Andrä ist der Auffassung, dass man jetzt „mit scharfen Werkzeugen“ agieren muss. Aus seiner Sicht kann offenbar nur noch das Strafrecht helfen. Er will Strafanzeige gegen den Schiedsrichter Sören Storks stellen, weil der „Anfangsverdacht eines Betrugs vorliegt“. Und Helge Leonhard, der Klubpräsident von Erzgebirge Aue, wittert ebenfalls mafiöse Geschäfte am letzten Zweitliga­spieltag. Er schlug vor, mal die Kontostände der Schiedsrichter überprüfen zu lassen. Die Vereinsführung hat zudem beim DFB Widerspruch gegen die Wertung des Spiels gegen Darmstadt 98 (0:1) eingelegt

Ein fälschlicherweise nicht gegebenes Tor, das Beweisfoto wird in den sozialen Netzwerken fleißig weitergereicht, und ein übersehenes Handspiel haben in der kleinen ostdeutschen Stadt großen Furor erzeugt. Ja, Fußball ist kein Spaß, erst recht nicht, wenn der Abstieg in die dritte Liga droht. Aue muss nun in die Relegation gegen den Karlsruher SC.

Es ist schon kurios, wenn man auf diese Saison zurückblickt. In der ersten Liga regte man sich vielerorts und insbesondere in Köln und Freiburg über den Videobeweis auf und über dessen unscharfen, schwer zu vereinheitlichenden Bestimmungen, wann denn nun genau eingegriffen werden soll und wann nicht. In der Zweiten Liga ist die Aufregung darüber groß, dass all die Beweisfotos und Videos, die man hat, sowieso nichts nutzen. Hier entscheidet noch nach klassischem Regelwerk der Unparteiische ohne technische Hilfsmittel.

Das Nebeneinander dieser beiden Systeme beweist: Die Ungerechtigkeit und die Aufregung bleiben ebenso verlässliche Konstanten im Fußball wie der Glaube, man könnte daran etwas ändern – und sei es über das Amtsgericht in Aue.

Der Gerechtigkeitsfanatiker Andrä fordert gar von der Deutschen Fußball-Liga, harte Sanktionen gegen den Schiedsrichter Sören Storks zu ergreifen. Mag ja sein, dass auch eine Fehlentscheidung am ersten Spieltag in gleichem Maße zum Abstieg beigetragen haben könnte. Die Haftung für Aues Misere soll aber Storks übernehmen.

Bei den beiden Spielen in der Relegation gegen den Karlsruher SC wird übrigens der Videobeweis eingesetzt. Aues Trainer wurde gefragt, ob ihn das nicht beruhige. Hannes Drews wollte das nicht bestätigen. Der Mann hat aus dieser Saison gelernt. Möglicherweise schaltet sich ja der Videoschiedsrichter unzulässigerweise bei einer strittigen Situation ein und verhilft dem KSC zu einem Elfmeter. Es wird weiter ungerecht zugehen. Der Vorteil: Für Verschwörungstheorien gibt es weiter viel Raum.

Johannes Kopp