Mephistos Rückkehr

Mit Frank Castorfs siebenstündigem „Faust“ beginnt heute das Theatertreffen in Berlin. Sicher zur Freude aller Dercon-Gegner

Diesmal kann man die Einladung zum Theatertreffen auch als Korrektur der Berliner Kulturpolitik lesen

Heute beginnt in Berlin das Theatertreffen mit Frank Castorfs „Faust“. Es war seine letzte Inszenierung als Intendant an der Volksbühne, die jetzt als prächtiges Vermächtnis viermal im Haus der Berliner Festspiele auf die Bühne kommt, doppelt so oft wie andere eingeladene Stücke. Schließlich war ein besonderer Aufwand vonnöten, ein zerschlagenes Ensemble wieder zusammenzuholen, mit Sophie Rois als Hexe, Martin Wuttke als Faust (meist unter einer greisenhaften Gummimaske), Marc Hosemann als Mephisto, und gleich fünf Darstellerinnen als Margarete. Dass das Bühnenbild noch eingelagert und nicht geschreddert war, ist ein Glücksfall. Oder weise Voraussicht, schließlich rufen Faust und Mephisto, als sie am Ende in einen Sarg klettern: „Nous sommes immortels.“

Die Theaterkritikerin Eva Behrendt, die für ihre Faust-Rezension in der taz mit dieser Schlussszene begann, gehört übrigens zu der siebenköpfigen Kritiker-Jury, die jedes Jahr zehn Inszenierungen für die Einladung zum Theatertreffen auswählt. Frank Castorf war schon 2015 mit einer Inszenierung eingeladen, „Baal“ nach Brecht vom Residenztheater München, die nicht mehr auf dem Spielplan stehen durfte, damals aus urheberrechtlichen Gründen. Diesmal kann man die Einladung zum Theatertreffen auch als Korrektur der Berliner Kulturpolitik lesen, die den Regisseur als Intendanten nach 25 Jahren absetzte. Dass der Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD), der die Entscheidung des Kulturstaatssekretärs Tim Renner als Kultursenator mittrug, sich bis heute nicht äußert, ist zu einem sprechenden Schweigen geworden.

Dass nun Castorfs Nachfolger, der kunstversierte, aber wohl doch in Theatergeschäften viel zu unerfahrene Chris Dercon auch schon wieder Geschichte ist, wird nicht nur das Ensemble in seiner Spielfreude befeuern. Gehört doch eine Parodie des Belgiers als Theaterdirektor, der ein Bier über den Kopf bekommt, zu der Inszenierung, eine Fußnote gewissermaßen. Sicher kommen unter den Faust-Besuchern auch viele Kritiker der Nominierung von Chris Dercon zusammen, die in dem Abend eine Bestätigung ihrer Castorf-Verehrung suchen.

Es geht in „Faust“ übrigens nicht nur um Faust I und II von Goethe, es geht auch um europäische Kolonialgeschichte, den Algerienkrieg, Zolas Roman „Nana“, und was die sexuelle Ausbeutung in der Prostitution mit kolonialer Ausbeutung und Rassismus zu tun hat. In komplex geschichteten Episoden, denen zu folgen in der siebenstündigen Inszenierung oft nicht einfach ist. Sehr gut und kenntnisreich aufgedröselt hat das Diedrich Diederichsen im Aprilheft von Theater heute (2017) in einer Rezension, die zugleich aber deutlich macht, wieviel Expertentum die Castorf-Exegese verlangt.

Katrin Bettina Müller