Verfluchte Schönheit

„Das Bildnis des Dorian Gray“ in der Shakespeare Company erzählt streng nach Textvorlage die Geschichte vom berühmten Londoner Dandy und seinem Ringen um die Vergänglichkeit der Jugend

Geschicktes Bühnenbild: Schattenrisse werden auf schwingenden Leinwänden zum berüchtigten Porträt Foto: Marianne Menke

Von Teresa Wolny

Die Frauen seien „ein dekoratives Geschlecht. Sie haben nie etwas zu sagen, aber sie sagen es entzückend“. Nicht nur Lord Henrys Meinung über Frauen ist wenig zeitgemäß. Vielleicht auch, um die gesellschaftspolitisch sensiblen Gemüter des 21. Jahrhunderts zu schonen, wirft in dieser Inszenierung von Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ statt eines Lords mit Petra-Janina Schultz eine Lady Henry Wotton mit fragwürdigen Aphorismen um sich: „Schönheit ist eine Form von Genialität, sie bedarf keiner Erklärung“, oder: „Das einzig Schreckliche ist Langeweile“.

Wenig ladylike und wunderbar schroff indoktriniert sie den als ihre Marionette auserkorenen Dorian mit einer nie endenden Salve von paradoxen Weisheiten. Auch deshalb ist Henry auf der Bühne ungleich strahlender als ihre junge hübsche Marionette, unterstützt durch ihr von Rike Schmitschek entworfenes, von glänzendem Lack dominiertes Kostüm. Doch nicht nur um Schönheit geht es Lady Wotton, auch zur Selbstverwirklichung will sie ihren Schützling ermutigen: „Der einzige Weg einer Versuchung zu entgehen, ist, ihr zu erliegen.“

Das ist es dann auch, was den von Lady Henry gesteuerten Dorian Gray schließlich zu Fall bringt: Das Porträt, das an seiner statt altert, ist nicht vom bloßen Alter derart entstellt. Durch seinen Selbstverwirklichungsdrang, der einhergeht mit seiner vermeintlich ewigen Jugend jedoch zieht der Protagonist eine Spur der Sünde und der Verwüstung in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen hinter sich her, in der Bühnenfassung verkürzt zu einer traumähnlichen Sequenz am Anfang der zweiten Hälfte.

Die Inszenierung, von John von Düffel übersetzt und bearbeitet, bleibt sehr nah am Original. Das Regiedebüt von Julia Redder ist damit solide, aber doch sehr behutsam und hat besonders im ersten Teil gewisse Längen, die jedoch im sehr viel dynamischeren zweiten Teil schnell vergessen werden. Sofern man die Geschichte kennt, gibt es wenig Überraschendes: Wie im Buch beginnt die Inszenierung im Atelier des Malers Basil Hallward, dem von Erik Roßbander bodenständig-gutmütige Züge verliehen werden und der in den letzten Zügen seines Porträts der jungen Londoner Schönheit Dorian Gray liegt

Es überrascht, dass die Inszenierung bei solch aktuellen Themen wie Schönheit, Jugend und Selbstverwirklichung ohne direkte Bezüge zur heutigen Zeit auskommt

Simon Elias, der als Dorian Gray jugendlich beschwingt anfängt, mit seiner Seele zu handeln, verzeiht man den winzig kleinen Makel seiner dunklen (statt goldblonden) Haare spätestens dann, wenn er wie der junge Narziss in Caravaggios Gemälde statt über einer Pfütze fassungslos über seinem eigenen, hässlich gewordenen Porträt kniet. Den Rahmen dieses Bildes auszufüllen, wird dem Publikum meist selbst überlassen. Das geschickt konstruierte Bühnenbild, ebenfalls von Rike Schmitschek, das aus mehreren großen Leinwänden besteht, die an einer Achse hin- und herschwingen und so eine sich ständig verändernde Räumlichkeit auf der Bühne erlauben, hilft der Fantasie jedoch auf die Sprünge. Indem Elias als Dorian hinter einer solchen Leinwand steht, wird sein Schattenriss zum berüchtigten Porträt.

In dem kleinen, schäbigen Londoner Theater, in dem die von Dorian angebetete Schauspielerin Sibyl Vane ihren Lebensunterhalt durch das Verkörpern sämtlicher weiblicher Hauptrollen des großen englischen Dichtervaters verdient, wird noch einmal deutlich, warum der seinerzeit als anstößig geltende Roman, der in einem Gerichtsprozess um Oscar Wildes Homosexualität schließlich gegen seinen eigenen Autor verwendet wurde, so gut in die Shakespeare-Company passt: „Lippen, die Shakespeare reden gelehrt hat, haben mir ihr Geheimnis ins Ohr geflüstert. Rosalindens Arme lagen um meinen Hals und ich habe Julia auf den Mund geküsst.“

Es überrascht, dass diese Inszenierung von Oscar Wildes berühmtem Roman bei solch aktuellen Themen wie Schönheit, Jugend und Selbstverwirklichung ohne direkte Bezüge zur heutigen Zeit auskommt. Immerhin Lady Henry schlägt mit einem Zitat die Brücke: „Wir würden alles dafür tun, um unsere Jugend wiederzuerlangen, außer Sport, früh aufstehen und Diät.“

Nächste Aufführungen: Do, 24. 5., und Do, 14. 6., 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz