„Selbst Bischöfe wurden gestört“

1968 verbot der Papst die Pille. Auf dem anschließenden Katholikentag ging es hoch her. Bernhard Vogel, damals Katholikentagspräsident, erinnert sich – und spricht sich für eine Öffnung der Priesterweihe aus

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Bernhard

Vogel

85 Jahre, ist CDU-Politiker und Katholik. 1968 war er Präsident des 82. Katholikentages in Essen. Vogel war von 1976 bis 1988 Minister­präsident von Rheinland-Pfalz und von 1992 bis 2003 Minister­präsident von Thüringen. Von 1989 bis 1995 und von 2001 bis 2009 war er Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Interview Ralf Pauli

taz: Herr Vogel, der Katholikentag vor 50 Jahren in Essen stand ganz im Zeichen der 68er. Vor allem die kurz zuvor veröffentlichte „Pillen-Enzyklika“ hat offenen Widerspruch ausgelöst. Wie haben Sie die Stimmung erlebt?

Bernhard Vogel:Der Katholikentag von 1968 war ein außergewöhnliches, ja turbulentes Ereignis. Selbst Bischöfe wurden bei ihren Vorträgen gestört – damals war das noch höchst ungewöhnlich. Jedes Forum und jeden Diskussionskreis wollte man mit einer Resolution beschließen. Und es kam die Forderung nach einem deutschen Nationalkonzil auf, das die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils „eindeutschen“ sollte.

Viele junge Katholiken wollten die Amtskirche erneuern und bei Fragen der ­Sexualität oder der Mitbestimmung innerhalb der Kirche öffnen. Hatten Sie dafür Verständnis?

Wir waren bereit, lebhafte Diskussion zuzulassen. Nicht aber, dass es von bestimmten Gruppen nur zu lautstarkem Protest kam. Eine Gruppe nannte sich in Anlehnung an die ­Außerparlamentarische Opposition antihierarchische Opposition. Uns war von Anfang klar: Wir müssen das Heft in der Hand behalten.

So könnte man die Haltung der katholischen Kirche insgesamt beschreiben. Was haben die 68er denn überhaupt verändert?

Zunächst muss man darauf hinweisen, dass die Aufbruchsstimmung in der katholischen Kirche ja schon vorher, mit Beginn des Konzils 1962, einsetzte. Sein Geist und die weltweite Aufbruchsstimmung im Jahr 1968 prägten auch die katholische Kirche. Nach dem Katholikentag kam es ungewöhnlich zügig zur Würzburger Synode. Erstmals gab es ein Gremium, in dem nicht nur Bischöfe und Priester, sondern auch Laien vertreten und gleichberechtigt stimmberechtigt waren. Wir haben damit genau das erreicht, was Papst Franziskus heute erneut fordert: dass sich regionale Bischofskonferenzen stärker und selbstständiger einbringen.

Bei vielen Streitthemen wie der Öffnung der Priesterweihe für Verheiratete und Frauen hat sich die katholische Kirche aber nicht bewegt.

In der Tat bedürfen viele der Forderungen, die schon in Essen und in der Synode diskutiert wurden, auch heute noch einer befriedigenden Lösung. Ich fände es zum Beispiel richtig, neben zölibatären Priestern auch viri probati, also verheiratete Männer, zur Priesterweihe zuzulassen. Bei der Öffnung der Priesterweihe für Frauen halte ich es für realistisch, zu erreichen, dass Frauen zunächst zum Diakonat zugelassen werden.

Das Motto des diesjährigen Katholiken­tages lautet „Suche Frieden“. Würden Sie Frieden finden in einer Kirche, die Homosexuelle zu Eheleuten segnet?

Ich bin dafür, dass in Münster sämtliche Meinungen zu Wort kommen und die zentralen Diskussionen weitergehen. Was im Bereich der regionalen Bischofskonferenzen möglich ist, ist mir willkommen …

Sie könnten also damit leben …?

… damit, dass wir gemeinsam den Frieden suchen, kann ich gut leben.

Apropos Frieden. Was halten Sie denn von Herrn Söders Kruzifix-Erlass?

Umfragen belegen, dass Söders Maßnahme in Bayern nicht unpopulär ist. Ich persönlich habe aber Schwierigkeiten damit, dass man im Kreuz nicht die entscheidende Botschaft des Christentums, sondern das Zeichen des bayerischen Abendlandes sieht.

Auch die AfD missbraucht das Kreuz – für ihren Islamhass. War es richtig, einen AfD-Vertreter nach Münster einzuladen?

Auf dem letzten Katholikentag in Leipzig wurde dagegen protestiert, dass die AfD nicht eingeladen worden war. Nun wird dagegen protestiert, dass bei einem Podium ein AfD-Vertreter eingeladen ist. Übrigens wie alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien. Man würde die AfD nur aufwerten, wenn man sie anders behandelte.