heute in hamburg
: „Die Bibliothek als stiller Ort ist Vergangenheit“

Foto: privat

Susanne Wilkin, 55, ist seit 2009 Bereichsleiterin der 32 Stadtteilbibliotheken.

Interview Mareen Butter

taz: Frau Wilkin, braucht man Bibliotheken heutzutage bei dem Fortschritt der Digitalisierung überhaupt noch?

Susanne Wilkin: Ja, denn Digitalisierung ersetzt niemals menschliche Begegnungen. Bibliotheken sind heute mehr noch als früher zu sogenannten dritten Orten geworden. Menschen suchen uns auf, um bei uns zu arbeiten und gemeinsam ihre Freizeit zu verbringen. In den letzten zwei Jahrzehnten ist der Bedarf an Aufenthaltsqualität größer geworden: Je mehr Arbeitsplätze wir allerdings einrichten, desto mehr Bedarf entsteht.

Was hat sich in den letzten 150 Jahren in Bibliotheken verändert?

Heute hat der Kunde Zugang zu einer umfangreichen E-Medien-Plattform, die das bekannte Angebot an Büchern, CDs und Filmen mindestens verdoppelt und ihm ermöglicht, auch unabhängig von Öffnungszeiten jederzeit darauf zuzugreifen.

Steht die Tendenz hin zur Videothek nicht im Widerspruch zu der Idee, mehr Menschen zum Lesen zu bewegen?

Kunden nutzen immer beides. Um zum Beispiel Jungs zu erreichen, muss man sie erst mal in die Bücherhalle locken und zwar am besten mit einem guten Videospiel- und Veranstaltungsangebot. Dann fangen sie selbst zu lesen an, denn sie entdecken: Ach, hier gibt es ja noch mehr.

Was halten Sie davon, Büchereien an Sonn- und Feiertagen zu öffnen?

Büchereien sind inzwischen am Wochenende extrem gut besucht, insbesondere von Familien. Insofern ist die Bibliothek als stiller Ort Vergangenheit. Die Möglichkeit, einen nicht kommerziellen Ort nutzen zu können, ist sehr erstrebenswert, gerade auch sonntags.

Hamburgs älteste Stadtteilbibliothek feiert in Finkenwerder ihren 150. Geburtstag: 11 Uhr, Ostfrieslandstraße 5

Allerdings will doch niemand sonntags arbeiten!

Das wissen wir nicht bei geänderten Voraussetzungen. Die Bücherhalle in Finkenwerder ist bereits jetzt eine Open Library. Dorthin kann der Kunde mit seiner Karte kommen, auch ohne dass Personal vor Ort ist. Das funktioniert wunderbar. Dieses Angebot könnte jederzeit auf sonntags ausgeweitet werden.

Wie konnte die Finkenwerder Bibliothek so lange bestehen, während andere Stadtteilbüchereien schließen mussten?

Finkenwerder ist ein sehr geschlossener Stadtteil, in dem die Einwohner eine überaus enge und selbstverständliche Bindung zu ihrer Bücherhalle haben.