„Man fühlt sich oft allein gelassen“

Für Martin Reiling ist Essen ausliefern ein Vollzeitjob. Er liebt das Radfahren, doch die Arbeitsbedingungen bei Foodora könnten besser sein – jetzt will er im Betriebsrat dafür kämpfen

Martin Reiling, 35, kommt aus Hamburg und arbeitet seit einem halben Jahr als Fahrradkurier bei Foodora.

Interview Annika Lasarzik

taz: Herr Reiling, warum haben Sie sich bei Foodora beworben?

Martin Reiling: Eigentlich programmiere ich Computersoftware, doch vor ein paar Monaten wurde die Auftragslage schlechter und ich musste mir ein zweites Standbein suchen. Ich habe alles Mögliche gemacht, im Hafen gejobbt, im Lager bei Amazon – aber der Job als Fahrradkurier ist besser: Rad fahren macht den Kopf frei, das ist ein guter Ausgleich zur Arbeit am PC. Außerdem kann ich mir die Schichten flexibel legen. Ich programmiere zwar immer noch, inzwischen allerdings nur noch nebenher.

Und jetzt, ein halbes Jahr später – wie zufrieden sind Sie mit dem Job?

Das Radfahren liebe ich, doch inzwischen gibt es einige Dinge, die mich stören. Man fühlt sich als Fahrer oft allein gelassen und vor den Kopf gestoßen. Die Kommunikation nach oben, zu den Vorgesetzten, ist schlecht, wir bekommen ja nie einen Chef zu Gesicht: Die „Dispatcher“ in der Zentrale sind zwar die Ansprechpartner, wenn es während einer Schicht Probleme gibt, etwa dann, wenn ein Kunde mal die Tür nicht aufmacht oder ich einen Platten habe. Doch das sind unmotivierte Leute, die nicht wirklich weiterhelfen können. Die kennen die Arbeit auf der Straße nicht, sitzen eh alle in Berlin und kennen sich in Hamburg nicht aus. Oft werde ich zu Restaurants geschickt, die es gar nicht mehr gibt oder die gerade geschlossen sind. Das nervt.

Und an wen wenden Sie sich, wenn Sie grundsätzliche Probleme haben?

Es gibt zwar die „Rider Captains“, erfahrenere Fahrradkuriere, die uns bei der Einstellung quasi als Mentoren zugewiesen werden, doch die meisten kennen ihren Captain gar nicht, ich selbst musste wochenlang auf die Zuweisung warten. Dabei hätte ich gerade in den ersten Tagen Unterstützung gebraucht. Ich würde mir eine geregelte Einarbeitung wünschen und zwar „on the job“. Ansonsten gibt es zwar eine zentrale Mail-Adresse, an die wir Fahrer schreiben können, doch eine Antwort habe ich darüber auch nicht immer erhalten. Oft bleiben Beschwerden irgendwo in der Kommunikationskette hängen.

Was müsste noch an den Arbeitsbedingungen geändert werden?

Wir brauchen eine höhere Verschleißpauschale, schließlich sind wir selbst für die Instandhaltung unserer Arbeitsgeräte, also Rad und Handy, zuständig. Bis vor Kurzem musste ich noch 100 Euro pro Monat für Fahrradersatzteile einplanen, Bremsen, Schläuche. Dann habe ich über 1.000 selbst in ein besseres Rad investiert, doch noch immer fallen monatliche Reparaturen an. Ich wünsche mir eine Pauschale pro gefahrenem Kilometer und eine Unfallversicherung fürs Rad – so hätte ich mehr Planungssicherheit. Unklar ist auch, was passiert, wenn mein Handy bei der Fahrt mal runterfällt, kaputt geht. Außerdem ist die Qualität der Arbeitskleidung schlecht. Wenn ich einen neuen Rucksack brauche, muss ich dem lange hinterherrennen.

Sind die Probleme, die Sie beschreiben, nicht typisch für Start-ups?

Ja, ich sehe in Foodora auch nicht den bösen, neoliberalen Ausbeuterbetrieb. Es gibt schlimmere Jobs und ich bin auch noch nicht so weit, dass ich kündigen würde. Ich glaube, all diese Probleme sind Zeichen von Überforderung – was es nicht unbedingt besser macht, denn wir Fahrer leiden darunter.

Nun kandidieren Sie selbst für den Betriebsrat – warum?

Weil er gerade für Unternehmen wie Foodora eigentlich überfällig ist: Die Distanz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern ist maximal groß, die meisten meiner Kollegen kenne ich gar nicht. Durch eine ständige Arbeitnehmervertretung gäbe es zumindest eine neue Kommunikationsebene, von der beide Seiten profitieren würden: Die Mitarbeiter hätten einen Ansprechpartner und Beschwerden würden die Chefetage überhaupt mal erreichen.

Waren Sie selbst schon früher in Betriebsräten oder gewerkschaftlich aktiv?

Nein, ich habe Betriebsräte zwar in anderen Unternehmen erlebt, aber oft hat mir deren Arbeit nicht gefallen. Da wurden unrealistische Forderungen gestellt, es gab „Profi-Betriebsräte“, die ihren eigentlichen Job im Betrieb aufgegeben und so den Kontakt zu den Arbeitern verloren haben. Darum kandidiere ich selbst: Weil ich vermeiden will, dass es bei uns auch so weit kommt.

Einige Kollegen wollen im Betriebsrat auch gegen die sachgrundlose Befristung kämpfen – Sie auch?

Nein, ich habe mich mit der Befristung abgefunden. Und ich glaube auch nicht, dass der Betriebsrat der richtige Ort ist, um diesen Kampf auszufechten. So lange die Politik es erlaubt, werden Unternehmen solche Verträge anbieten – es ist Aufgabe der Gewerkschaften, gegen Befristungen und für höhere Löhne zu kämpfen. Leider haben die meisten Gewerkschaften die wirtschaftliche Entwicklung verschlafen, New-Economy-Unternehmen wie Foodora hatten die lange nicht auf dem Zettel. Insofern freut es mich, dass die NGG uns nun bei der Gründung des Betriebsrates unterstützt.

Glauben Sie, dass es schwer wird, weitere Mitarbeiter von Foodora für den Betriebsrat zu interessieren?

Das Problem ist, dass viele Fahrer zu kurz bei Foodora arbeiten, um sich wirklich in den Betriebsrat einbringen zu können. Die Fluktuation ist hoch, die meisten bleiben etwa vier Monate und sind dann wieder weg. Und natürlich sind viele junge Leute dabei, denen diese Idee der Vernetzung fremd ist – trotzdem bin ich zuversichtlich.

Haben Sie das Gefühl, dass Foodora Ihre Ini­tiative unterstützt?

Natürlich befürchte ich, dass die uns gerade nur belächeln und gar nicht ernst nehmen. Doch bislang spüren wir keinen Widerstand. Ich glaube schon, dass die Unternehmensführung die Arbeitsbedingungen verbessern will: Als ich mal eine wütende E-Mail geschickt habe, weil ich zu Beginn 10-Stunden-Schichten fahren musste, wurde direkt ein Vertreter aus Berlin nach Hamburg geschickt, um mit mir zu reden. Seitdem sind die Schichten generell nur noch maximal sechs Stunden lang. Der gute Wille ist da – doch an der Struktur hapert es.