Kolumne Macht: Ukrainisches Schmierentheater

Die Inszenierung des Mordes am russischen Journalisten Arkadi Babtschenko ist widerlich. Sie schadet vor allem politischen Gefangenen weltweit.

Ein Bund Rosen an einem Pfeiler am Eingang eines Hauses. Die Haustür steht offen

Rosen des Gedenkens für einen Nicht-Toten am Haus der Lüge Foto: dpa

Selbstverständlich lügen Geheimdienstler, das ist ihr Job. Auch Regierungen lügen, sogar demokratisch gewählte, oder zumindest einige ihrer Mitglieder. Deren Job ist das allerdings nicht. Unter anderem deshalb bestand bislang weltweit Einigkeit darüber, dass es besser ist, sich beim Lügen nicht erwischen zu lassen. Jedenfalls war das in den letzten paar tausend Jahren so. Gerade ändert sich das offenbar.

Stolz wie Bolle präsentierte sich der vermeintlich ermordete russische Journalist Arkadi Babtschenko auf einer Pressekonferenz. Hach, was ist ihm und seinen Mitverschwörern da für ein Coup gelungen! Schuljungen können nach einem erfolgreichen Streich nicht glücklicher sein. Erstaunlich, dass Babtschenko und ukrainische Regierungs- und Geheimdienstvertreter sich nicht öffentlich auf die Schenkel geschlagen haben.

Angeblich war das Schmierentheater der einzige Weg, den Täter und die Hintermänner eines Mordkomplotts gegen den regimekritischen Journalisten dingfest zu machen. Ob das stimmt und ob es dieses Komplott überhaupt gab, das kann die Öffentlichkeit nicht beurteilen. Anderes kann sie beurteilen.

Zum Beispiel: Der Kreml wird es künftig leichter haben als bisher, Vorwürfe zurückzuweisen. Jedem Foto eines ermordeten Regimekritikers kann künftig die Aufnahme des angeblich getöteten Babtschenko entgegen gehalten werden. Das gilt übrigens nicht nur für Russland.

Lügen wird salonfähig. Wenn's der Sache dient. Was immer die Sache sein mag.

Haben Babtschenko und die mit ihm verbündeten Idioten – Entschuldigung, ich habe lange nach einem weniger umgangssprachlichen Ausdruck gesucht, aber mir ist keiner eingefallen – , haben diese Idioten wenigstens zwei Minuten darüber nachgedacht, dass es Tausende von Familien gibt, die nach verschwundenen Angehörigen suchen? Fast überall auf der Welt? Denen jetzt höhnisch gesagt werden wird, dass diese sich vermutlich an einem karibischen Strand sonnen – und nicht etwa getötet wurden oder in einem Kerker schmachten?

Die Babtschenko-Inszenierung gefährdet politische Gefangene, weltweit. Die Lehre für Diktatoren: Es mag im jeweiligen Einzelfall sehr viel klüger sein, Regimekritiker verschwinden zu lassen als sie öffentlich umzubringen. Dann fragt künftig vermutlich niemand mehr nach. Und falls doch, dann kann man ja das getürkte Foto des blutenden Arkadi Babtschenko in die Kameras halten.

Lügen, wenn's hilft

Lügen wird salonfähig. Wenn's der Sache dient. Was immer die Sache sein mag. Kiew, Washington oder eben Moskau: die jeweiligen Regierungen dort werden „die Sache“ unterschiedlich definieren. Aber das Ganze hat System. Wenn das Ganze doch wenigstens kein System hätte.

US-Präsident Donald Trump hat kürzlich der Journalistin Leslie Stahl erklärt, weshalb er den Ruf von Medien zu ruinieren versucht und zwar unabhängig davon, ob ihre Berichterstattung korrekt ist oder nicht: Er möchte das Vertrauen in Journalisten zerstören und erreichen, dass niemand mehr Enthüllungsgeschichten glaubt, die sie veröffentlichen. Der Mann sagt das öffentlich. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Der bislang – qua Amt – als Führer der so genannten „freien Welt“ galt, was immer man von der Politik der USA im Detail auch halten mochte.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Das ist ein Kulturbruch. Wenn wir uns nicht mehr darauf verlassen können, dass unsere – demokratisch gewählten – Regierungen beim Lügen wenigstens nicht erwischt werden wollen, dann unterscheiden wir uns nicht von Diktaturen. Zumindest nicht im Hinblick auf Meinungsfreiheit. Arkadi Babtschenko, war's das wert? Oder haben Sie gar nicht gemerkt, was Sie getan haben?

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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